_stringfigures@rhizome.hfbk.net's Public Feed: Gedanken anlässlich des intern...
Endlich lese ich „Untenrum frei“ von Margarete Stokowski. Ich habe es schon lange auf meiner Liste und nun hat mir die Mutter einer Kindergartenfreundin von L. das Buch ausgeliehen.
Ich lese es mit größtem Erstaunen. Wie kann die Autorin in so charmantem und fröhlichem Ton von ihren Erfahrungen als Kleinkind, Mädchen, Jugendliche, Frau berichten? Wie konnte ich so blind und vergnügt mein Leben leben? Seit einigen Jahren befasse ich mich mit feministischen Themen, während ich als Jugendliche nicht mal wusste was Feminismus ist, geschweige denn geahnt habe, dass er irgendwie nötig ist.
Die Geschlechterrollen in meiner Familie waren zum Einen recht klar, zum Anderen, durch diverse psychische Dispositionen von jetzt betrachtet, merkwürdig interessant verschoben. Alice Schwarzer? Keine Ahnung, die hat bestimmt Achselhaare, wie meine Mutter, dachte ich.
Ok, dann viele Zeitungsartikel, Gespräche, Fragen, Studium, noch mehr Gespräche, femrep, Bücher: Roche, Beauvoir, Buttler, Mersal, Yaghoobifarah und viele viele mehr.
Aha - Momente, #metoo, jetzt „Untenrum frei“. Ich denke, es tut sich was, da ist was los. Frauen reden, Männer hören, alle handeln und ich denke kurz, die Blase, in der ich mich bewege ist keine Blase mehr, sondern die Normalität.
PENG.
Nein.
- Ein Onkel von mir soll zur Kur. Er hat zwei Bandscheibenvorfälle. „Aber wenn, dann will ich schön weit weg, wo ein paar Häschen am Strand tanzen.“ sagt er zu seiner Frau.
Ich schweige. Vor Schreck. - Ich gehe von der Haltestelle nach Hause. Ein - zwar geistig verwirrter, aber sehr offensiver - Mann rennt hinter mir her, ruft, ich solle mir seinen Schwanz angucken. Da wäre was. Ich wechsele die Straßenseite. Mein Herz rast. Ich schweige.
- Ich rede mit Freundinnen über die Vergewaltigungsszene in „Untenrum frei“. JEDE in dieser Runde ist einer Vergewaltigung grade so entkommen.
- Eine andere Freundin ist ihr nicht entkommen.
- JEDE Freundin, mit der ich mich über diese Themen unterhalte, wurde mindestens einmal im Leben sexuell belästigt. Eine erst neulich. Verdammt, was soll das?
- Ich stehe auf dem Spielplatz und lasse mir erzählen, wie die Tochter einer Bekannten ins Flugzeug steigt. Die Stewardess sagt zu ihr, sie solle sich bedecken, das Handballteam dahinten würde ihr auf den „Arsch glotzen und johlen.“ Die Stewardess geht nicht zu dem Handballteam und sagt, dass sie die Fresse halten sollen, weil sie sonst nicht mitfliegen können.
- L. und ich sind einkaufen. Er braucht neue Schlüppis. Er sieht ein Kleid und sagt „Das will ich haben. Ich wollte schon immer ein Kleid haben.“ - Ich denke nach: habe ihm ein Prinzessinnenkleid gekauft, zum Spielen. Zu Hause. Zum Verkleiden. Jetzt will er ein Kleid für den Alltag. Will ich das? Ja. Aber… Was aber? Aber … ich habe Angst vor der Reaktion seiner Mitmenschen. Habe Angst, dass er ausgelacht wird, dass er dann nie wieder ein Kleid anziehen will. Ich kaufe es ihm. Niemand lacht. Niemand hänselt ihn. In mir sitzt ein kleines Mädchen, das denkt, Jungs dürfen keine Mädchensachen tragen. Weil Mädchen weniger wert sind oder warum? Wahrscheinlich denkt das das kleine Mädchen.
- Ich rede mit einem Freund über Stokowski Buch. Er sagt nur jaja. Wieviele Männer kenne ich, die dieses Buch gelesen haben oder feministisch handeln? Wieviele Frauen kenne, ich, die Feminismus für überspannt halten?
- Eine Freundin redet mit einem Freund über Stokowskis Buch. Er sagte wohl, es wäre ja ganz schön übertrieben. Selektive Wahrnehmung nennt man das, wenn die Wahrnehmung durch einseitige Aufmerksamkeit eingeschränkt ist. Ich nenne es richtig hinsehen oder nicht hinsehen. Je nach Perspektive.
- Ich bin im Urlaub auf einem hohen Berg. Es liegt Schnee. Wie im letzten Jahr hängen überall Werbeplakate für das „Nacktrodeln“. Zu sehen ist eine blonde, weiße Frau mit sehr großem Busen und neonfarbenem Bikini. L. fragt: was ist das? Ich antworte: eine Frau, die im Bikini Schlitten fahren möchte. Er: „Warum?“ Ich: „Ich hoffe, weil es ihr Spaß macht.“ Dass unsere Gesellschaft gerne möchte, dass es der Frau Spaß macht, nackt Schlitten zu fahren lasse ich weg. Erstmal. Ich muss schwer atmen. Im Café liegt noch eine Bildzeitung rum. Vorne und hinten alles voller nackter Frauen. Ich lege sie weg, weil ich Angst vor seiner nächsten Frage habe.
Sonntag abend sitze ich auf dem Sofa. Mein Freund fragt mich, was los sei. Warum ich so gereizt sei. Ich erzähle ihm das alles und fange an zu heulen und merke, wie ich gar nicht gemerkt habe, wie doll so ein Schuh immer mal wieder drücken kann. Ich heule so sehr, dass ich mich hinterher ganz klein und buckelig fühle. Meine Augen sind verquollen. Ich gehe ins Bett. Er schaut mich an. Wir sind beide traurig.
Am 8. März ist internationaler feministischer Kampftag
WICHTIG: Die Demo wird in DGS gedolmetscht!
WICHTIG: Diese Demonstration richtet sich an Frauen, Lesben, trans, inter und nicht-binäre Personen!
Am 8. März ist internationaler feministischer Kampftag. Seit Jahrzehnten gehen wir an diesem Tag auf die Straße, um die gesellschaftlichen Missstände und Diskriminierungen sichtbar zu machen, denen wir täglich ausgesetzt sind.
Wir sind Frauen, Lesben, nicht-binäre, trans und inter Personen und wir sind Teil einer internationalen Bewegung! Diese hat allein in den letzten Jahren weltweit Millionen Menschen auf die Straßen gebracht. Auch 2020 werden wir, in Hamburg und überall auf der Welt, auf die Straße gehen!
Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir noch immer stark diskriminiert werden. Wir erfahren Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung durch das Patriarchat.
Unsere Arbeit wird nicht geschätzt und unsichtbar gemacht. Noch immer verdienen wir deutlich weniger als cis-Männer und zuhause übernehmen wir unzählige Stunden an unbezahlter Erziehungs-, Haushalts- und Pflegearbeit. Wie selbstverständlich sollen wir die emotionalen Bedürfnisse Anderer vor unsere eigenen stellen. So verschieden wir sind, wir sind alle Arbeiter*innen und verdienen dafür Lohn und Anerkennung!
In den letzten Jahren beobachten wir mit Sorge, wie rechtes Gedankengut und rechtsnationale Parteien immer gesellschaftsfähiger werden. Das werden wir nicht unkommentiert lassen. Wir treten für eine Gesellschaft ein, in der alle Menschen ohne Angst leben und verschieden sein können. Wir kämpfen für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft! Denn in einem System, das auf Konkurrenz, Diskriminierungen und Ausbeutung von Mensch und Umwelt beruht ist keine echte Gleichberechtigung möglich. Wir gehen am 08. März auf die Straße, um das sichtbar zu machen, was sonst im Privaten verschwindet und um unseren Erfahrungen, mit denen wir sonst alleine bleiben einen gemeinsamen Ausdruck zu verleihen.
Lasst uns, wie unsere Vorgängerinnen und Mitstreiterinnen, für ein gutes Leben für alle kämpfen! Bis jeder Tag 8. März ist! Schließt euch an!
www.fstreikhamburg.org