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China in Her Eyes
Welche Rolle spielt Design und Gestaltung in der Konstitution und Reproduktion von Unterdrückungsmechanismen? Welche internen Hierarchien herrschen innerhalb der Designpraxis und an welche sozio-politischen Zuschreibungen sind sie geknüpft? Ist weibliches Design gleich feministisches Design? Ist jede Zeichnung, jede Illustration und jede Abbildung ein Akt der Aneignung und Machtausübung über ihren Gegenstand? Wie lässt sich der white gaze in einer zeitgenössischen, globalisierten Gestaltungspraxis markieren, reflektieren und überwinden? Ist Inspiration unschuldig?
Maya Ober von depatriarchise design – einer forschungsorientierten Plattform, die sich der Untersuchung und Störung der „Komplizenschaft von Design der Reproduktion von unterdrückungsfähigen Systemen“ widmet – stellte am 29.9. in ihrem Workshop „Gendered Design“ im MARKK diese und mehr Fragen zur Diskussion. Der Workshop war Teil des Thementages zur aktuellen Ausstellung „Ausgezeichnet: Künstlerinnen des Inventars“, in der erstmals die Arbeiten und Biografien der Anfang des 20. Jahrhunderts am Museum beschäftigten Zeichnerinnen im Mittelpunkt stehen. Die Frauen wurden zur zeichnerischen Dokumentation der Sammlungsbestände sowie zur Illustration von wissenschaftlichen Publikationen angestellt, als „technische Mitarbeiterinnen“ arbeiteten sie damit im Hintergrund der kolonialen Institution und bildeten mit ihrer (als solche nicht anerkannten) wissenschaftlich-künstlerischen Arbeit doch den wesentlichen Grundstock der Handlungsmacht des Museums – ihre Zeichnungen erst machen die überbordende „Sammlung“ an außereuropäischen Kulturgütern für die Kuratoren und Forscher (hier wählen wir bewusst die männliche Form) erst verfügbar.
Die Frage nach Macht- und Unterdrückungsmechanismen und ihre Komplizenschaft mit Design/Zeichnung stellt sich hier also in mehrfacher Form: Auf struktureller Ebene lässt sich zum einen das Hierarchieverhältnis zwischen weiblichen Zeichnerinnen und dem Medium der „niederen“ Illustration und auf der anderen Seite der männlichen Forscherfigur und der „überlegenen“, intellektuellen Wissenschaft problematisieren. Ist das genaue Studium der Formen und Texturen, wie es die Praxis der Zeichnung erfordert, nicht mindestens genauso eine forschende Methode wie es die anschließende ethnologische Zuordnung behauptet zu sein? Gleichzeitig lässt sich auch die Hierarchie zwischen „technischer“ Zeichnung und künstlerischem Schaffen und damit der alte Dualismus von weiblich konnotiertem Handwerk und männlich gelesener, freier Kunst diskutieren – hier setzt auch die Ausstellung an, in der die Zeichnerinnen explizit als Künstlerinnen bezeichnet und ihre Zeichnungen als eigenstände künstlerische Arbeiten ausgestellt werden. Die Krux bei der Sache: Bei solchen Umkehrungen, nachträglichen Nobilitierungen und behaupteten Wiedergutmachungen tappt man oft in die selbe Falle – durch das Beteuern des Kunst- (austauschbar: Wissenschafts-) Status der Arbeiten wird die Hierarchisierung unterschiedlicher Arbeitsfelder, Wissens- und Gestaltungsformen sowie Bild- und Darstellungsarten weiter fortgeschrieben. Wo vermeintlich für nachträgliche Gerechtigkeit gesorgt wird, werden die zugrundeliegenden Machtstrukturen weiter reproduziert. Die bloße Anmaßung, „anderen“ ihre „Agency“ zurückzugeben, bewegt sich selbst immer schon auf sehr dünnem Eis – die Grenzen zwischen einer notwendigen und angebrachten Neu-Erzählung der Geschichte und der ungefragten und machtvollen Aneignung der Arbeiten und Biografien anderer sind fließend und brüchig.
Löst man den Betrachter_innenstandpunkt von den Biografien der Zeichnerinnen selbst, kommt die weitere und vielleicht noch interessantere Dimension der Machterzeugenden und -erhaltenden Funktion der ausgestellten Zeichnungen zum Tragen. Im Abzeichnen und Illustrieren der Gegenstände wird der Raub aus ihren Herkunftskulturen schließlich grafisch nachvollzogen und wiederholt, die zeichnerische Gestaltung übersetzt und überwindet die situierte Ästhetik und Funktion der Objekte. Die Dokumentation und Abstraktion der Gegenstände zu handlichen Karten und Inventarnummern machen die Objekte ökonomisch wie wissenschaftlich verfügbar und mobil, die schriftliche wie zeichnerische „Beschreibung“ der Objekte kontextualisiert sie neu und zeichnen sie als Teil einer spezifischen Sammlung aus, dies ist nun ihr wesentlicher neuer Zusammenhang.
Den Zeichnerinnen kam dabei der Status sogenannter „technischer Hilfsarbeiterinnen“ zu; als solche war es ihre Aufgabe, die Objekte „so wiederzugeben, wie sie sind“. Es ist dabei eine zweifelhafte Ehre, dass Frauen als besonders geeignet für diese Arbeit angesehen wurden, wurde ihnen damit doch implizit die intellektuelle Kapazität eines eigenen, subjektiven Standpunktes abgesprochen. Männliche Zeichner – so die Vorstellung – würden mit ihrem Wissen und ihrem Intellekt Bilder manipulieren, mit ihren eigenen Ansichten und Interessen das „objektive, wahre Bild“ verzerren. Dieser Gefahr meinte man Herr zu werden (pun intended), indem man Frauen beschäftigte, gleichgesetzt mit einer hirnlosen Abbild-Maschine.
Dabei ist die scheinbar objektive Darstellungsweise alles Andere als voraussetzungslos; in ihr manifestieren sich westliche, eurozentrische Wissenschaftsideale, die sich im Zuge des 19. Jahrhunderts etablierten und teils bis heute fortwirken. Für den Großteil der westlichen Wissenschaftsgeschichte wäre es vollkommen absurd gewesen, das Individuum hinter dem Wissen ausklammern zu wollen, um ein Destillat des „reinen, universellen Wissens“ zu erzeugen. Das war doch gerade die Leistung des Wissenschaftlers (der damals noch nicht unter dem Label lief – besser beschrieben wäre die Figur als eine Mischung aus Naturalisten, Alchimisten, Physiker, Künstler…), die Welt mit seinen Mitteln zu erschließen, zu ordnen und ein Stück weit handhabbarer zu machen. Es ist die Hybris der Moderne, die es sich in blinder Anbetung der reinen Vernunft anmaßt, universelle Wahrheiten hervorbringen zu wollen. Was in den Karteikarten der Ausstellung also bildhaft gemacht wird, ist eine ganz bestimmte Perspektive, die durch ihren Universalismus-Anspruch die eigene Bedingtheit verschleiert. Mit anderen Worten: was „objektiv“ erscheint, ist die Manifestation eines weißen-männlichen-bürgerlichen Wissensideals, das eben nicht universell ist, sondern die Perspektive eines sehr kleinen, elitären Kreises wiederspiegelt. Wie diese Bilder aussehen würden, wenn Frauen und POC an der Formung wissenschaftlicher Ideale tatsächlich beteiligt gewesen wären, muss Gegenstand von Spekulation bleiben.
So blieben die Zeichnerinnen des MARKK einer Vorstellung eines wissenschaftlichen Bildes verpflichtet, die patriarchal geprägt ist. In einigen Beispielen wird zwar der wenige Spielraum ausgelotet, aber im Großen und Ganzen folgen die Bilder einem ganz bestimmten Regelwerk, das darum bemüht ist, jede Spur des Individuellen Einwirkens zu verschleiern: vermeintlich neutraler Hintergrund, monofokale Darstellungsweise, strikte Frontalität. Die Zeichnerinnen und ihre Arbeiten werden damit zu Agentinnen der Kolonialisierung, die sich nicht nur im tatsächlichen materiellen Transfer und der Aneignung von Wissen, Rohstoffen und Körpern fortwirkt, sondern auch in der Übernahme von ästhetischen Merkmalen, Formen, Farben, Texturen und Techniken.
In diesem Sinne schließen wir uns dem in Workshop zitierten Credo von Charlotte Bunch an: „You can’t just add women and stir“; Veränderung wird erst dann zustande kommen, wenn die Machtmechanismen hinter patriarchal-kolonialen Verhältnissen ausgehebelt sind – solange aber Gestaltung, Illustration und Design unter den Prämissen und im Dienst dieser Machtmechanismen wirkt, wird ihr empowerndes Potenzial stets begrenzt bleiben.