Promotionsvorhaben Robert Henschel
Arbeitstitel: KlangLandschaft — Einträge zu einer Theorie
Betreuung: Prof. Dr. Michaela Ott, Dr. Roger Behrens
Was ist eine Klanglandschaft? Als der kanadische Kommunikationstheoretiker und Komponist R. Murray Schafer Ende der 1970er Jahre den Begriff der ‚Soundscape‘ in den Diskurs um Klang und Musik einbrachte, öffnete er mit seiner Forderung nach einer akustischen Ökologie Forschungszweigen wie den Sound Studies die Tür. Die Implikationen, die der Begriff mit sich trägt, reichen überdies tief, denn hier erscheint eine Welt in vornehmlich klanglicher Verfassung, die sich der Erkenntnis darbietet. Untergründig gerät mit dieser Auffassung ein lang gewachsenes Paradigma in Bewegung, das sich bis zu Aristoteles’ Unterteilung der Sinne gemäß deren Erkenntnisvermögen zurückverfolgen lässt. Gemeint ist dasjenige einer Welt, die – als Gegenstand der Erkenntnis – vor allem visuelles Gepräge ist. Die Unverbrüchlichkeit dieser Auffassung zeigt sich noch in der etymologischen Verwurzelung der theoria in der Anschauung.
In den Blick gerät mit der begrifflichen Verschiebung zunächst eine Welt, die seit der industriellen Revolution kontinuierlich lauter wird. Der Krach oder Noise geht einher mit der gesellschaftlichen Entwicklung und zeugt mithin von einer ästhetischen Problematik: Der Klang der Maschine – im Sinnbild der Fabrik und des Automobils – lässt sich nur schwer mit der harmonischen Lehre der Musik und deren geometrischer Begründung in Einklang bringen. Der Ton ist das Maß, in das sich der Krach nicht pressen lässt und folglich zum Problemfeld werden muss. Letzteres artikuliert sich zunächst legalistisch in Form diverser Verordnungen, um den störenden Lärm zu unterbinden. Implizit ist hier auch eine moralisch begründete Unterteilung der Klänge in gute und schlechte angedeutet. Der Lärm, das ist der Schmutz (man denke an den Begriff „noise pollution“), den es im Dienste eines Ideals der Reinheit zu beseitigen gilt. Nur dann lässt sich das „Tuning of the World“, wie es im Untertitel zu The Soundscape heißt, vernehmen. Hier deutet sich leise ein ideologischer Unterton im Soundscape-Projekt an, der auch mit der Schwierigkeit zu tun haben könnte, eine Form der Klanglichkeit abseits der Tonalität zu denken. Allenthalben wird die Musik gestört.
Einmal mehr also: Was ist eine Klanglandschaft? Die Klanglandschaft, so könnte man in der Verkürzung Schafers behaupten, ist akustisches Ensemble oder Collage. Jede Stadt und jeder Ort klingen auf je besondere Weise und diese Besonderheit oder Individualität verdanken sie der Zusammenstellung ihrer Klangerzeuger. Soundscapes können, gemäß Schafers Unterteilung, lo- oder hi-fi-Charakter haben. Die moderne Stadt klingt lo-fi, verrauscht und undurchdringbar für das Ohr, das auf der Suche nach dem unverfälschten Klang an den zahllosen akustischen Überlagerungen scheitern muss. Dementgegen stehen die hi-fi soundscapes, in denen die ‚Stille‘ gewissermaßen als Trenner des je Besonderen fungiert. Und auch wir sind Soundscape im doppelten Sinn: eine materielle Äußere des Klangs unserer Leiblichkeit und in gewissem Maße eine Innere des Emotionalen oder Psychischen — Schafer klassifiziert beispielsweise ‚Dream Sounds‘. Zudem erstrecken sich die Soundscapes immer schon über ihre Klanglichkeit hinaus ins Symbolische, denn der Klang kommt scheinbar nicht ohne die Bedeutung aus. Jede Soundscape ist zugleich Symbol- oder Meaningscape — jedoch ohne dass sich eines aufs andere reduzieren ließe.
Ein letztes Mal und hier im Sinne des Impulses meines Dissertationsprojekts gefragt: Was ist eine Klanglandschaft? Etwas am Begriff der Soundscape irritiert mich und regt zugleich das Nachdenken an: Unter anderem das Verhältnis von Klang, Symbol und Psyche, das oben angedeutet ist, wird spannend, weil Schafer hier über den Mittler des Klangs ein Problemfeld zwischen Psychoanalyse und Philosophie berührt, ohne sich recht hineinzuwagen. Die Welt ist Soundscape, ebenso ist es unser leiblicher Körper, noch bis in die Träume hinein ziehen sich die Klänge und rühren am psychischen Apparat — Schafers ‚Dream Sounds‘ ließen sich derart auch als Produktionen der Mechanismen des Unbewussten lesen. Hier deutet sich demnach eine klangliche Dimension des psychischen Apparats an. Und diese niemals ausschließlich klanglichen sondern zugleich symbolischen Landschaften beeinflussen unser Denken und Fühlen. Mir stellt sich u.A. die Frage, ob es nicht eine radikale Konsequenz des Soundscape-Begriffs wäre, unser weltliches Sein als eine permanente Aushandlung von Landschaften zu verstehen. Wie wäre diese Form eines eher klanglich verfassten Seins zu denken?
Zudem scheint in Schafers vor allem indexikalischen Bestreben, die Klänge zu ordnen und ihnen Bedeutungen beizumessen einmal mehr eine Logik der Repräsentation auf, der letztlich immer – der escape im Innern der Soundscape deutet es an – ein irreduzibler Rest an Klanglichkeit entgehen muss, der sich nicht funktionalisieren lässt und eben deshalb die Produktion von Bedeutung befeuert.
Mein Dissertationsprojekt widmet sich, ausgehend von einigen, hier in Spiegelstrichen angedeuteten produktiven Unschärfen und Implikationen in Schafers Überlegungen zur Soundscape, dem Versuch, Zugänge für eine phänomenologisch grundierte Theorie der Klanglandschaft zu legen. Es geht mir dabei zunächst um die weder eindeutigen noch unproblematischen Verhältnisse von Klang, Land und Landschaft, Grenze und Ausdehnung und darin auch um Problematiken der Leiblichkeit und die Frage, wie sich überhaupt von/mit/durch/über Klang sprechen lässt, mithin also um Überlegungen zur Übersetzung und Verschiebung sowohl des Klanglichen als auch des Symbolischen.
Vita
Robert Henschel (*1987 in Berlin) lebt und arbeitet in Hamburg. Er studierte im MA Populäre Musik und Medien an der Universität Paderborn und schloss mit einer Arbeit zu Noise und Kritik ab. Seit 2018 ist er im Promotionsprogramm der HFBK bei Michaela Ott, gefördert von der Gisela und Peter W. Schatt Stiftung. Musikjournalistische Tätigkeit u.A. für taz und Jungle World, zudem Publikationen in der Reihe Studien zur Musikkultur der Gisela und Peter W. Schatt Stiftung. Forschungsschwerpunkte sind vor allem Sound sowie Populäre Musik und Popkultur vor dem Hintergrund poststrukturalistischer Philosophie und postkolonialer Theorie.