Dix und die Gegenwart
Ein Interview von Beate Anspach und Anne Meerpohl für das Lerchenfeld-Magazin.
Lerchenfeld
Wie entstand die Idee für die Ausstellung Dix und die Gegenwart?
Ina Jessen
Meine Arbeit mit Otto Dix hat schon vor vielen Jahren begonnen. Vor mehr als zwölf Jahren bereits. Meine Forschung mündete in dem Buch Ein deutscher Maler und der Nationalsozialismus, das 2022 erschienen ist. In der Beschäftigung mit Otto Dix und seinem Werk ist mir klar geworden, dass das ein wichtiges Thema für eine Ausstellung ist. Gerade die Anbindung an die Gegenwart. Wie gingen und gehen Künstler*innen in autokratischen Systemen damit um, dass ihre Kunst verboten oder stigmatisiert wird? Die Ausstellungsidee entwickelte sich also aus meiner Forschung heraus.
Lerchenfeld
Und wie kam es zu deiner Forschung an und über Otto Dix?
Ina Jessen
Mich hat die Frage interessiert, warum es in den 1930er Jahre so viele Künstler*innen gab, die sich von der künstlerischen Beschäftigung mit inhaltlichen oder gesellschaftlichen Themen zurückzogen und sich stattdessen der Landschaftsmalerei in unterschiedlichen Formen zuwandten. Otto Dix ist neben vielen anderen Künstler*innen ein Paradebespiel dafür. Daher habe ich mich intensiv mit ihm und seiner Malerei beschäftigt. Und das war wirklich umwerfend - ein ganz ungesehener Dix. Ich habe mir also die unterschiedlichen Gattungen angesehen und geschaut, wie die Bildwelten sich bei Otto Dix nach 1933 – nach seiner Entlassung und im Zuge der Stigmatisierung als „entartete Kunst“ – verändert haben. Wie verhält es sich mit dem (Gesellschafts-)Portrait, woher rührt die Beschäftigung mit biblischen Themen und wie kam es eben zu den sehr merkwürdig anmutenden Landschaftsbildern. Und daraus entwickelte sich dann auch die Idee, diese Beobachtungen an das Heute anzubinden und in Bezug zu setzen.
Lerchenfeld: Und wie hast du die zeitgenössischen Positionen für die Ausstellung ausgewählt?
Ina Jessen
Das war natürlich ein langer Rechercheprozess. Ich habe mir unglaublich viele Ausstellungen angesehen und Kataloge gewälzt. Und danach bin ich auf Künstler*innen und/oder Galerien zugegangen, um weiterführende Informationen zu ausgewählten Positionen zu bekommen. Ich habe mit ihnen direkt gesprochen, ihnen von der Ausstellungsidee berichtet und herausgefunden, ob das Thema überhaupt für sie interessant ist und zutrifft. Am Ende hat dieser Prozess fast vier Jahre gedauert und von anfangs über 80 künstlerischen Positionen habe ich das Konzept immer mehr geschärft und konkretisiert. So dass wir nun in der Ausstellung Arbeiten von 51 Künstler*innen präsentieren, die zu acht Kapiteln arrangiert sind.
Lerchenfeld: Einigen der zeitgenössischen Arbeiten ist ihre Bezugnahme auf Otto Dix sehr direkt und eindeutig anzusehen. Bei anderen Positionen sind die Referenzen nicht ganz so eindeutig.
Ina Jessen: Absolut. Es gibt konkrete Verweise und Auseinandersetzungen mit dem Werk von Otto Dix und dann gibt es aber auch kuratorische Verbindungslinien, die vielleicht etwas andeuten oder eröffnen, ohne ganz explizit zu sein.
Lerchenfeld
Wie erklärst du dir diese immer noch anhaltende große Relevanz des Werkes von Otto Dix?
Ina Jessen
Bildende Kunst ist eine Art Seismograf der Gesellschaft, in der sich aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wiederspiegeln. Ob es Krieg, ein politischer Rechtsruck, Ausgrenzungen innerhalb der Gesellschaft oder andere Entwicklungen sind. Diese Themen waren damals für Otto Dix und seine Zeitgenoss*innen wichtig, da der erste Weltkrieg noch nachhallte oder der Zweite Weltkrieg allgegenwärtig war, und wurden zum Gegenstand seiner künstlerischen Arbeit. Und die politischen Themen haben bis in die Gegenwart nicht an Brisanz verloren. Vergleichbar zu beobachten sind sie daher bei vielen zeitgenössischen Künstler*innen.
Lerchenfeld
Simin, ist Otto Dix für dich auch eine wichtige Referenz?
Simin Jalilian
Ich habe schon als Jugendliche, im Alter von vielleicht 13 Jahren, Arbeiten von Otto Dix im Kunstunterricht im Iran gesehen und mich damit beschäftigt. Sie haben mich damals schon sehr angesprochen und ich habe versucht, mir seine Bilder ganz genau anzueignen, seine Malweise zu erlenen. Auch später, an der Kunsthochschule haben wir uns mit dem Werk von Otto Dix beschäftigt.
Lerchenfeld: Was beeindruckt dich an Otto Dix?
Simin Jalilian: Vor allem seine Malweise, dieser kräftige Pinselstrich, diese expressiv expressionistische Ausdrucksweise. Das interessiert mich und so gehe ich auch an meine eigenen Malereien heran: Sie haben etwas Gestisches, Kräftiges, aber auch Melancholisches.
Lerchenfeld: Und auch in deinen Arbeiten taucht das Motiv des Krieges auf.
Simin Jalilian: Kurz nach dem Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine habe ich das Bild The War (2022) gemalt. Aber die Charaktere auf dem Bild sind letztlich weder eindeutig als ukrainische noch russische Menschen zu identifizieren. Es sind ganz normale Menschen, es könnte jede*r sein. Ich wollte damit zeigen, dass es Krieg überall gibt und dass er schrecklich ist. Er ist Teil unserer Gegenwart.
Lerchenfeld
Du arbeitest in deiner Malerei ausschließlich mit Öl. Inwieweit geht diese Materialität auch mit deinen Motiven einher? Wie wirken beide zusammen? Es ist schwer vorstellbar, dass du zum Beispiel deine Motive mit Pastellkreide umsetzen könntest.
Simin Jalilian: Das stimmt. Die Materialität der Ölfarbe, der dicke Farbauftrag und seine Schwere oder der gestische Pinselstrich unterstützen meine Motive. Durch diese Kombination entwickeln meine Arbeiten ihre Kraft.
Ina Jessen
Ich habe Simin oft in ihrem Atelier besucht und wir haben viel über ihre Arbeiten gesprochen. Gerade bei dem eben genannten Bild The War sehe ich eine enge kompositorische Verbindungslinie zum Beispiel zu dem Bild Flandern (1934/36) von Otto Dix, welches den Kriegsschauplatz verheerender Schlachten im Ersten Weltkrieg zeigt. Und darüber hinaus dekodierst du diese patriarchale Situation des Krieges, in dem du einen Kämpfer zeigst, der ein riesiges Kanonenrohr zwischen den Beinen hat. Zum einen zeigt es die Heftigkeit und Gewalt des Krieges, aber zum anderen ist das aber auch ein Kippmoment.
Simin Jalilian
Ja, es geht natürlich um die Darstellung der männlichen Macht.
Lerchenfeld
Beschäftigst du dich in deinen Arbeiten ausschließlich mit den Themen von Krieg und Gewalt?
Simin Jalilian
Nicht ausschließlich, aber es sind sehr wichtige und wiederkehrende Themen. Und das hat natürlich auch etwas mit meiner Geschichte, meiner Herkunft zu tun. Ich bin 2016 aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Am Anfang meiner künstlerischen Arbeit im Iran habe ich ausschließlich Frauen und Frauenkörper gemalt. Das waren sehr fröhliche, zärtliche Bilder in hellen Pastelltönen mit Wasserfarben gezeichnet. Bei meiner letzten Ausstellung habe ich dann Probleme bekommen, weil ich eben auch nackte Frauenkörper gezeichnet habe. Ein Minister kam und hat entschieden, welche Bilder ich ausstellen und zeigen durfte und welche nicht. Das war natürlich Zensur und das hat mich sehr getroffen. Es gibt im Iran keine freie Kunst und viele Künstler*innen neigen aufgrund der strengen Zensur dazu, nicht mehr figurativ, sondern vor allem abstrakt zu malen. Damit ihre Arbeiten nicht verboten werden. Das ist vergleichbar mit der Situation von Otto Dix und vielen Künstler*innen seiner Zeit. Sie haben sich in Landschaftsmalereien oder die Darstellung von biblischen Motiven geflüchtet, um überhaupt noch arbeiten zu können. Und das wollte ich nicht. Ich wollte und will expressiv figurativ arbeiten. Und deshalb habe ich angefangen Deutsch zu lernen und habe mich dann an Kunsthochschulen in Deutschland beworben.
Lerchenfeld
Während du im Iran also vor allem Frauenfiguren gezeichnet hast, tauchen nun vor allem Männer, Gewalt- und Kriegsmotive in deinen Arbeiten auf.
Simin Jalilian
Ich habe im Iran ganz bewusst Frauen dargestellt und gezeichnet. Sie sind dort meistens das Subjekt der Unterdrückung. Ich habe ihnen ein Gesicht, eine Präsenz gegeben. Seitdem ich in Deutschland oder in Europa bin, widme ich mich vor allem den männlichen Machtpositionen. Es ist für mich eine Art Ermächtigungsprozess. Ich reagiere auf aktuelle Themen und Entwicklungen. Meine Arbeiten sind eine Form von Kommentierung, aber auch eine Verarbeitung für mich.
Lerchenfeld
Auf die Entlassung von seiner Professur für Malerei an der Dresdner Akademie im April 1933 reagierte Otto Dix mit einem inneren (und äußeren) Exil am Bodensee, in dem er vor allem Landschaftsbilder schuf, die aber auch wieder Sehgewohnheiten brechen und irritieren.
Ina Jessen
Die Landschaft fand Dix „zum Kotzen schön“, wie er selbst gesagt hat. „Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh“. Ab 1933 durfte er keine gesellschaftlichen Themen mehr aufgreifen, keine Gesellschaftskritik üben, ohne dafür angeprangert zu werden. 1936 hatte Dix dann seine vorerst letzte Ausstellungsbeteiligung – übrigens im Hamburger Kunstverein. Dort wurden seine Arbeiten aus der Ausstellung genommen und bis zum Ende des Krieges hatte Dix keine offizielle Ausstellung mehr in Deutschland. In dieser gesamten Zeit wurden seine 50 Radierungen aus der Mappe Der Krieg (1924) allerdings im MoMA in New York und andere Arbeiten im europäischen Ausland gezeigt.
Otto Dix war also gezwungen, sich andere Motive zu suchen und entwickelte Ausweichmechanismen – er schuf Landschaftsansichten, in denen er gezielt altmeisterliche Techniken, Kompositionen und Materialien verwendete. Bei der Bildanalyse wird jedoch klar, dass Dix zugleich mit Vorbildern wie C.D. Friedrich brach. Unmittelbar nach 1945 erhielten die explizit gesellschaftspolitischen und schonungslosen Kommentare Wiedereinzug in Dix’ Themen- und Motivrepertoire und auch der Duktus veränderte sich stark.
Lerchenfeld
Die Ausstellung ist mit den Themen wie Krieg, Gewalt, Konflikt oder Zensur gerade besonders aktuell – so furchtbar das ist. Sowohl die Arbeiten von Otto Dix als auch der vielen zeitgenössischen Künstler*innen entwickeln vor diesem Hintergrund eine besondere Virulenz.
Ina Jessen
Unbedingt. Die Ausstellung zeigt sehr anschaulich, dass gesellschaftliche Entwicklungen und die Arbeit von Künstler*innen in engem Verhältnis zueinander stehen. Und auch die Besucher*innen der Ausstellung werden mit unterschiedlichen Fragestellungen und Sichtweisen konfrontiert. Sie ermöglicht also einen breiten Reflexionsprozess. Und ich glaube, das ist besonders wichtig – damals wie heute.
Simin Jalilian (*1989 in Teheran) studiert seit 2017 Malerei an der HFBK Hamburg, zuerst bei Prof. Werner Büttner und seit 2021 als Masterstudentin bei Prof. Rajkamal Kahlon. Von 2007 bis 2013 studierte sie an der Soore Universität in Teheran. 2020 erhielt sie das Leistungsstipendium für ausländische Studierende und 2022 wurde sie mit dem Hiscox-Kunstpreis ausgezeichnet. 2024 erhielt sie außerdem den Berenberg Kulturpreis.
Dr. Ina Jessen ist Kunsthistorikerin und Kuratorin. Gesellschaftspolitische Fragen stehen im Fokus ihrer Forschung und Ausstellungen zur Klassischen Moderne wie auch politische Ikonografien in Materialprozessen bis in die Gegenwartskunst
Das Interview erschien zuerst in der Februar-Ausgabe 2024 des Lerchenfeld-Magazins.