Under Construction
Ein Text von Katrin Krumm.
Im Kunsthaus Hamburg steht ein großes Metallgerüst inmitten des Raums. Handelt es sich hier um einen Aufbau? Oder eine Renovierung? Die gesamte Szene wirkt verlassen, als wären auf einen Schlag alle Beteiligten dieses Unterfangens einvernehmlich gegangen, ohne ihr geplantes Vorhaben zu beenden. Die Absicht scheint durchaus zu einem früheren Zeitpunkt vorhanden gewesen zu sein: An einer der Wände lehnt ein Wischmop, der Wassereimer daneben – als ob damit noch kurz vor Ausstellungsbeginn sauber gemacht werden sollte. Links an der Eingangstür ist zwar ein Ausstellungstext angebracht, allerdings hängt dessen Trägerfolie noch an den Buchstaben.
While We’re Gone von Akinori Tao (Master-Abschluss 2023 bei Prof. Andreas Slominski) und Jakob Spengemann (Master-Abschluss 2022 bei Prof. Andreas Slominski) beginnt mit vielen Leerstellen. Während sich einige ganz konkret im Raum manifestieren – wie das klaffende Loch in einer Wand in der Mitte des Raums, das den Blick auf die Holzkonstruktion freigibt, aus der sie besteht – sind andere davon noch zu erkunden. Betrachtenden zeigen sich diese Leerstellen nicht nur in Form von kürzlich begonnenen, aber unvollendeten Aktionen, sondern auch als vergessene Objekte, wie einem unvorsichtig abgestellten Becher, einer abgestandenen Colaflasche oder Umzugskartons, die teils zusammengefaltet, teils offen sind.
Dass es sich hierbei auch um einen Umzug handeln könnte, ist ein realistisches Szenario, das drängende Fragen des Hauses adressiert: Seit kurzem ist bekannt, dass das Kunsthaus seinen aktuellen Standort aufgeben muss, nachdem es bereits Anfang der 1990er Jahre dem Neubau der Kunsthalle weichen musste. Dass es sich bei While We’re Gone nichtsdestotrotz um eine Inszenierung handelt, wird durch kleine, bewusste Installationen und Skulpturen ersichtlich, die die szenischen Kompositionen stellenweise unterbrechen. So lässt sich auf einer der auf dem Boden liegenden Holzflächen das Wort „Refrain“ aus verschütteten Colaflecken ausmachen, oder die feine Malerfolie, die sanft knisternd über der Heizung am Fenster schwebt, wird durch einen Kunstharz-Abguss einer Ein-Euro-Münze beschwert. Des Weiteren sind die dicken Kordeln eines an die Wand gelehnten Wischmopps zu sauber, als dass sie bereits jemand genutzt hätte.
Die Objektkonstellationen sind durch eine weitläufige Platzierung im Raum definiert. Sie stehen weder alle in Verbindung miteinander, noch funktionieren sie autark. Wie szenische Inseln verbinden sie sich immer wieder neu – genau so, wie Betrachtende dadurch immer wieder zur Neuorientierung innerhalb des ihnen dargebotenen angeregt werden. Die Grenzen zwischen Raum, Bühne und Objekt werden insbesondere durch die Anbindung an die Architektur und Konditionen des Raums immer wieder neu herausgefordert: War der Erste-Hilfe-Kasten schon immer hier, oder ist er Teil der Ausstellung?
Durch die Wahl, Positionierung und Präsentation der Objekte wird der Ausstellungsraum seiner repräsentativen (“White Cube”) Funktion beraubt. Stattdessen werden die Zwischenzustände des Raumes, seine Instandhaltung und die architektonischen Gegebenheiten betont. Die Integration des normalerweise Unsichtbaren, oder sogar Störenden innerhalb eines Ausstellungskontexts – Heizung, Fenster oder Feuerlöscher – führt zu einem sensiblen und respektvollen Umgang der Präsentationsfläche, sowie der darin stattfindenden handwerklichen Arbeit.
Durch die Betonung von Technik und Handwerk innerhalb der Arrangements entsteht eine Art konservierte Bühne, die teilweise die Künstlichkeit einer historischen Stätte aufweist. Während sich eine Form der Konservation im langgezogenen Moment des Umbaus wiederfindet, findet sie an anderer Stelle auch im Material statt: Vergängliches weicht hier Beständigem. Kaugummi und -papier, die auf dem Fenstersims abgelegt und vergessen erscheinen, erfahren eine Transformation. Metaphorisch und wörtlich “versteinert” in Keramik halten sie die beiläufige Geste fest. An einer anderen Stelle im Raum finden sich unendlich haltbare Eiswürfel im Wischwassereimer. Bei einigen der Objekte, die sich in der Szene wiederfinden, handelt es sich um Attrappen, die ihren Vorbildern durch Imitation nachzustellen suchen, wie die an die Wand gelehnten Umzugskartons – detailgetreu nachgestellt aus Papier und Lack. Die menschlichen Hinterlassenschaften und die verschiedenen Eingriffe in die Architektur scheinen eine kaleidoskopartige Betrachtung des Raums über mehrere Zeitachsen darzustellen. In ihrer Gesamtheit wirkt die Rauminstallation, als würde man sie auf verschiedenen zeitlichen Ebenen betrachten.
Die systematische Dekonstruktion des Ausstellungsraums erweitert sich auch auf die darin befindlichen Systeme, die ebenso auseinandergenommen werden, wie die halb offene Wand, oder das auseinandergebaute Drum-Set, dessen Einzelteile im Raum verteilt sind. Destabilisierend und feindselig für größere Strukturen scheint die Gesamtinstallation vielmehr Raum zu geben für kleinere Lebewesen, die innerhalb der Raumarchitektur verschmelzen und diese für sich zu nutzen wissen: Zwischen den Holzwänden haben sich bananenförmige Schlangen eingenistet, deren Körpertemperatur von einer rot-strahlenden Heizlampe scheinbar aufrechterhalten wird. In einem der Umzugskartons liegt der Boden unter knöchelhohem Wasser, in dem eine bläulich schimmernde Qualle schwimmt, während die zusammengefalteten Kartons kleinste Fußspuren aufweisen. Eine bronzene Spinne sitzt in einem Glas, das zwischen Wand und Besenstil eingeklemmt ist und eine Fliege hat selbstverständlich auf einem Pedal Platz genommen.
Wie auch in dem bevorstehenden Umzug des Kunsthauses stellt sich in diesem Projekt die Frage nach den Nutzungsweisen von Räumlichkeiten. Die Einnistung von Lebewesen oder deren Spuren innerhalb des Raumes können hierbei als Analogie, beziehungsweise Interpretationen der Auseinandersetzung mit Lebensraum gelesen werden. Vereinzelte Wespennester, die im Ausstellungsraum verteilt sind, erweitern den Umgang mit dem Raum hin zu einer Wiederaneignung des Habitats – indem sich eines der Nester beispielsweise um einen Feuerlöscher schmiegt – und machen ihn zu einem Biotop für diese Form von Leben. Ähnlich wie sich Lebensraum und Lebewesen gegenseitig bedingen, greifen insbesondere an dieser Stelle die Arbeitsweisen der beiden Künstler zusammen und werden sichtbar: während Jakob Spengemanns großflächige Arrangements eine Bühne stellen, können sich Akinori Taos Skulpturen und Installationen darin einbetten.
Sowohl die Lebewesen als auch die Installation selbst nehmen den Raum ein und beleben ihn. Wie ein lebendiger Organismus greift die Szene immer wieder um sich, um die Umgebung Teil ihrer selbst werden zu lassen: Wände, Boden, schlussendlich auch die Betrachtenden und das Haus selbst. Kabel durchziehen den Raum wie Synapsen in einem Organismus, sie treten in Boden und Wände ein und verwandeln das Haus in einen überdimensionalen Resonanzkörper. Sobald sich der Raum füllt, erwacht er zum Leben: die Umgebungsgeräusche werden durch die Wand übertragen und zur Soundkulisse transformiert.
Ein leises, hochfrequentiertes Zischen klingt von der Colaflasche an dem Fenstersims. Genauso wie ein Umzug ein unsichtbarer Schwebezustand ist, ist auch Sound nicht zu sehen. Erst durch die bewusste Setzung von Namen wird er kategorisiert und strukturiert, wovon die prominent beschrifteten Effektpedale und Synthesizer auf dem Musik-Set-Up erzählen. Musik, beziehungsweise Sound, kann als semantische Brücke zu den Leerstellen funktionieren, denen wir versuchen, Bedeutung zu geben. „Wir können nur den Klang hören, weil die Partikel in der Luft sich bewegen“, erläutert Jakob Spengemann im Artist Talk. Er benötigt Bewegung und Widerstand, um existieren zu können. While We’re Gone untersucht die unsichtbaren Bedingungen, die unsere Umgebung definieren und wechselt dabei spielerisch zwischen den Dimensionen. Zwischen Wirt und Parasit, Produktion und Präsentation, Transformation und Stillstand stellt die Ausstellung die Fragen nach den Konditionen, die sich gegenseitig bedingen.
Katrin Krumm ist freie Autorin und Redakteurin beim Online-Kunstmagazin Gallerytalk.
9.3. – 12.5.2024
While We´re Gone
Jakob Spengemann, Akinori Tao
Parallel zu: Alter-Reservoir
Sam Vernon
Website des Kunsthaus Hamburg
Der Artikel erscheint in der April-Ausgabe 2024 des Lerchenfeld-Magazins.