DAS ANDERE SCHÖNE (DEUTSCHE) BUCH
Im Jahr des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums stellte die Stiftung Buchkunst auf der Leipziger Buchmesse gegenüber den Initiatoren des offenen Briefs „Wider das schöne (deutsche) Buch“ fest, dass es beim bisher international maßgeblichen Wettbewerb für Buchgestaltung in Deutschland nicht um Design, Gestaltung oder Kunst gehe, sondern primär um lesbare, machbare Bücher, die für die Schaufenster der deutschen Buchhandlungen mit der griffigen Formel 5 x 5 schönste Bücher zusammengestellt werden.
Hundert Jahre also, nachdem Kunst, Gestaltung und Politik versuchten eine Antwort auf Georg Simmels Kritik zu formulieren, dass die industriellen Produkte ihre „geistige Bestimmtheit“ verloren hätten, weil die Formgebung in die Hände des kapitalistischen Marktes und der Spekulation geraten sei, gibt uns eine solche Setzung zu denken.
Sind mithin sämtliche Bemühungen von Werkbund, Bauhaus, HFG Ulm und ihrer Nachfolgeinstitutionen nur sentimentale Utopien, in kleinen Zirkeln historisch goutierbar, aber nicht wirklich ernst zu nehmen, geschweige denn realisierbar? Oder, wie es uns nach dem ersten offenen Brief vorgeworfen wurde, „nur im akademischen Elfenbeinturm denkbar“? Aber über welche Realität sprechen wir hier?
Dass es keine neutrale visuelle Form gibt, visuelle Form also immer Bedeutung evoziert und darum Autorschaft impliziert, muss heutzutage jede*r verstanden haben. Dass sich damit Verantwortung verbindet, und diese Verantwortung ein kritisches Befragen und Weiterdenken – experimentell wie traditionsverbunden – von visueller Sprache zwingend nötig macht, wird von uns seit dem ersten offenen Brief vertreten.
Ein Diskurs zur visuellen Gestaltung muss nach unserem Dafürhalten mehr sein als die Bestimmung des kleinsten gemeinsamen Nenners von strategischen Zielen, Partikularinteressen und subjektiven Befindlichkeiten. Darum unsere Forderung, dieses Befragen und Weiterdenken kritisch zu begleiten und öffentlich zu vermitteln. Darum unsere Forderung, Institutionen wiederzubeleben und zu etablieren, die einen derartigen bildungspolitischen Auftrag ernst nehmen.
„Gestalter*innen sind – im Großen wie im Kleinen – Demiurgen, die mit dem, was sie gestalten, die Bedingungen unseres Lebens bedingen. Sie verändern die Welt, in der wir leben“, sagt Friedrich von Borries. „Zu entwerfen bedeutet also auch Widerstand zu leisten – als Gestalter*in mit ästhetischen Mitteln, die zugleich politisch sind.“
Nachdem die Stiftung Buchkunst ihre Position deutlich gemacht hat – was bedauerlich, aber ihr gutes Recht ist –, sind nun all diejenigen ambitionierten Gestalter*innen, die für einen kritischen Umgang mit ihrem Schaffen stehen, aufgerufen, sich in einem alternativen Dialog zu engagieren.
Eine mögliche Alternative zur Prämierung der „schönsten deutschen Bücher“ könnte der Walter-Tiemann-Preis sein, der seit 1992 im Zweijahresrhythmus für innovative typografische Gestaltungsideen vergeben wird. Er wird international ausgeschrieben und richtet sich an alle, die das Buch als zeitgenössisches Werk begreifen und Gestaltung als Mittel verstehen, Inhalte zu verstärken, zu kommentieren, zu organisieren und dabei auch unbekannte Wege zu gehen.
Darüber hinaus haben wir mit verschiedenen Museumsvertreter*innen gesprochen, um auszuloten, welche weiteren Schritte wir unternehmen können, einen solchen Dialog zu fördern. Und wir hoffen, dass sich unserem Anliegen viele Kolleg*innen anschließen werden, um zeitnah Veränderungen konkret werden zu lassen.
Mehr Infos und unterzeichnen unter https://t1p.de/jxfv