Die Tresen-Kolumne über Slavoj Žižek
Deutscher Idealismus
Slavoj Žižek dekonstruiert sich endlich selbst. Mit seinem Artikel, der letzte Woche auf deutsch in der NZZ erschienen ist, darüber, wie der Feminismus die weiblichen Geschlechtsorgane entmystifiziert und warum die Welt dann traurig und das Leben sinnlos ist, hat er definitiv viele alte Fans verloren und bestimmt auch ein paar neue hinzugewonnen.Vielleicht wird er jetzt zum Thinktank der Incels, einem Teil der Männerbewegung innerhalb der neuen und extremen Rechten. Insgeheim freut mich diese Demaskierung, denn endlich habe ich meine Freund_innen zurück, die vorher noch ganz beseelt von Žižeks launiger Kulturkritik in die Theatersäle strömten.
Eine ähnliche Entwicklung hatte vorher auch schon Peter Sloterdijk hingelegt, der immerhin bis 2017 an der Kunsthochschule Karlsruhe tätig war, die selbe Hochschule, die auch Marc Jongen beschäftigte, bevor er fulltime für die AfD arbeitete. Es ist interessant, warum gerade diese Autoren, man könnte auch noch ein paar mehr aufzählen, die im Kulturkontext schreiben und publizieren, sich so oft mit den „Ergebnissen“ ihrer Forschung am Ende des Tages der konservativen Revolution anschließen. Es ist auch interessant, warum diese Autoren vorher in ebendiesem Kulturkontext sich so großer Beliebtheit bei Kulturarbeiter_innen erfreuten. Das könnte zum einen daran liegen, dass es vielleicht so etwas wie eine traditionelle Hingezogenheit des kulturellen Mileus zu charismatisch- apokalyptischen Leaderfiguren - mit Expertise im dramatischen Spektakel - gibt.
Ein Problem ergibt sich erst dann, wenn die theatralen Clowns auf der Bühne es plötzlich ernst meinen und ihre Analyse einer dekadenten Gesellschaft nicht mehr nur Showeffekt ist. Zum anderen ist natürlich der Gegenstand solcher Auseinandersetzungen auch per Definition dafür geeignet, ihn ausschließlich mit dem weinenden Auge des aufziehenden Verfalls zu verstehen: die Kultur.
Und hier übertreibe ich vielleicht ein bisschen: Diese ideelle Entität, die wir schönen Wesen einst erschaffen haben, mit dem ganzen Kraftakt der Aufklärung, der Verfassungen, dem Flötenspiel, dem Gentlemensagreement, kann sich nur ex-negativo als zu verteidigende und also ständig angegriffene Einrichtung verstehen. Denn wäre sie nicht angegriffen von fremden Mächten und pervertierten Ideen, so könnte man sie begrifflich gar nicht fassen. Etwas, was sich begrifflich nicht fassen lässt, eignet sich nicht, um damit Identitäten zu begründen. Kultur, das ist dieses und nicht jenes. Ein Schützengraben ohne kampferwartende Soldat_innen ist kein Schützengraben, sondern eine Vertiefung im Schlamm.
Eine Kultur, die keine Grenzen kennt, ist keine Kultur sondern diverses und unbestimmtes Handeln von Menschen - damit lassen sich aber keine Zeitungsseiten in der NZZ füllen. Das all jene genannten Autoren sich gut mit dem deutschen Idealismus auskennen, ist wahrscheinlich kein Zufall. Vorsicht ist also geboten vor charismatischen Anführer_innen, vor den laut greinenden Stimmen. Vorsicht ist geboten, wenn jemand die Kultur heraufbeschwört, als das, was uns verbindet: Uns, eine beliebige Menge an unbekannten Personen mit fluiden Handlungsimperativen an diversen Orten zu manchen Zeiten.