Die Tresen-Kolumne: Puppen und Handschuhe
Es ist Mitte April, und ein paar Zeichen stehen auf Lockerung der covid-bezogenen Einschränkungen. Vielleicht kommt mir das auch nur so vor, weil draußen Sommer ist und sich das selten gewordene Rumsitzen mit einzelnen Freund_innen aus dem Hamburger Norden mit Abstand fast so anfühlt wie immer. Fast, denn dann steht man auf, nickt sich freundlich zu, dreht sich um und verschwindet. Irgendwie fühlt es sich an wie eine Falle. Nichts ist geklärt, und jederzeit kann der nächste Lockdown kommen, eher früher, wenn alle gerade sommerlich entspannt wieder die Plätze bevölkern. Gestern von einem alten Bekannten gehört, der jetzt Demos organisiert, an denen fast ausschließlich rechte Verschwörungsfans teilnehmen. Ich hatte gehofft, es sei Pech und Unachtsamkeit gewesen, falsches Wording in der Ankündigung, unpräzise Formulierung von „den Eliten“ und „denen da oben“. Aber er scheint es ernst zu meinen, leider. Es ist nicht der/die erste Bekannte von mir, der/die plötzlich auf der anderen Seite steht, und es ist nicht das erste Mal, dass ich mich frage, wann das alles passiert sein mag und ob wir uns schon immer einfach falsch verstanden haben. Es gibt einen schmalen Kippgrat auf dem Gipfel der Weltanalysen, und die eine Seite öffnet sich weit in die Ebene der neuen Rechten. Das Gemeine daran ist, dass man sich oft schon sehr mit der spezifischen Wortwahl auskennen muss, um zu wissen, in welchem Diskurs man sich gerade befindet. Manchmal sind es einfach Chiffren für alte nationalistische Klassiker, wie der Ethnopluralismus der NPD oder der Identitären Bewegung, oft ist es komplizierter. Wenn der rechte Medienkanal KenFM mit einem ehemaligen Mitglied der italienischen, eurokommunistischen PCI über die Gefahr der faschistischen Bedrohung in Europa redet, dann klingt das erst mal ziemlich anschlussfähig. Nach einer Weile wird aber klar, dass da nicht die Rede ist von um sich schießenden Männern, die Zuhause Munition horten, sondern von okkulten Finanzeliten, die im Verborgenen die Strippen ziehen. Ich stelle mir vor, dass mein alter Bekannter von diesen Unterschieden wusste und dann eine Position eingenommen hat, die ihm gut zu verteidigen schien: Der Antagonismus gegen einen allmächtigen und unsichtbaren Feind. Stellungskrieg. Der Staat als Handpuppe, in der ein mächtiger Arm steckt, dessen angehängter Körper sich im politisch-ökonomischen Nebel verliert. Die Handpuppe ist vielleicht gar nicht so ein schlechtes Bild, obwohl in der rechten Rhetorik natürlich immer die Trope der Marionette, die an Fäden hängt, zitiert wird. Die Frage ist halt, was man dahinter erwartet: Eine verschleierte Wahrheit, von der die Puppe ablenken soll, oder eine tagtägliche, diffuse und oftmals gewaltsame Gemengelage an vielstimmigem Wollen. Also steckt in meiner Handpuppe eher eine Vielzahl von schwitzigen Händen, von manchen bin ich ein Teil, mit starken und schwachen Armen und diversen Akteur_innen, die an ihnen ziehen und versuchen, neue hineinzustopfen, damit das Gemurmel der Puppe, die natürlich nicht nur Puppe, sondern auch ein großer, an manchen Stellen wärmender, an manchen löchriger und zu kurzer Handschuh ist, der sich um die Gemengelage an Fingern schließt, zu ihren Gunsten oder den Gunsten einer machtpolitisch armlosen Entität entscheidet. Es ist ein immerwährendes Zerren. Nicos Poulantzas nennt dieses temporäre Strukturgemurmel „Verdichtung von Kräfteverhältnissen“, und ich finde den Begriff ganz gut. Aber schreib das mal auf einen Demoflyer. Dass das alles so stimmt, kann ich natürlich überhaupt nicht beweisen. Die Faktenlage ist diffus.