Raimar Stange über das Kunstzeigen in Zeiten von Corona
Kunstzeigen in Zeiten von Corona
„Das Belvedere digital erleben“, „Digitales Programm – me Collectors Room Berlin“, „The (Virtuell) Week: Art Online“ und „Art Basel Online Viewing Rooms“ - E-Mail-Headlines wie diese zeigen an, wie große Teile des Betriebssystem Kunst auf die Corona-Pandemie jetzt zu reagieren versuchen: Mit online-Angeboten soll das Publikum die Möglichkeit bekommen, z. B. Museumspräsentationen, Galerieausstellungen und Kunstmessen in Form von virtuellen Ausstellungsrundgängen zu besichtigen. Allen voran die Galerie König (Berlin, London und Tokio): Bei ihr kann man nicht nur, wie bei vielen anderen Galerien auch, auf der Webseite der Galerie die gerade aktuellen Shows anhand von Installationsaufnahmen betrachten. Die Galerie geht jetzt “für die Zukunft richtungsweisend“, wie sie vollmundig in ihrer Pressemeldung verkündet, mit ihrem Projekt „Kreative und Corona“ einen entscheidenden Schritt weiter. Auf Instagram – warum eigentlich nur dort ? – bietet sie in Zukunft als Reaktion „auf die Herausforderungen durch COVID-19“ die Möglichkeit, die Ausstellungen live gemeinsam mit „Künstlern und Galerist zu erleben“, so z. B. am 19. März mit Michael Elmgreen; am 20. März mit dem Leiter von König Tokyo, Tatsuya Yamasaki, in der Anselm Reyle-Ausstellung; am 21. März mit Alicja Kwade und am 24. März mit Claudia Comte, jeweils in Berlin um 10 Uhr. Gleichsam virtuelle Künstler*innen/Kuratorenführungen also finden dort statt, sogar die Option im Anschluss Fragen zu stellen, ist gegeben.
Bereits das Wort „erleben“ deutet ein Problem solcher Initiativen an: Schon Walter Benjamin hat bekanntlich darauf hingewiesen, dass in der Moderne das Erlebnis an die Stelle der Erfahrung tritt. Das (mediale) Erlebnis, vereinfacht formuliert, sei der kapitalistischen Massengesellschaft adäquat und zersetze die subjektive Erfahrung zugunsten einer kurzweiligen Zerstreuung ohne jedweden authentischen Anspruch. In diesem Kontext hat dann auch schon Martin Heidegger gewarnt: „vielleicht ist das Erlebnis das Element, in dem die Kunst stirbt“. Königs Instagram-Initiative und vergleichbare virtuelle Ausstellungsrundgänge tendieren genau in diese Richtung und überführen „richtungsweisend“ die Erfahrung von Kunst, die einmal etwas mit Konzentration, ja mit Kontemplation zu tun hatte, in die Eventkultur der Sozialen Medien und dieses leider oftmals inklusive des dort üblichen Personenkults. Bedenklich ist dabei vor allem, dass bei solchen Projekten die Kunst und ihre „leibhaftige“ Betrachtung quasi substituiert wird.
Virtuelle Ausstellungsrundgänge ersetzten offensichtlich den Besuch einer Ausstellung durch die Modalitäten der sozialen Netzwerke, also vor allem den Möglichkeiten des Medium Video unter dem Diktat des Digitalen. So verändert sich der Charakter von Ausstellungsbesuchen entscheidend, denn im Netz kann man den eigenen Standpunkt vor den ausgestellten Exponaten ebenso wenig selbst bestimmen wie sein eigenes „Timing“ beim Betrachten. Die Kategorien Raum und Zeit, die für den Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant immerhin konstituierend für jedwede Form von Subjektivität sind, werden also in der Virtualität ausgehebelt. Außerdem gibt die dort im doppelten Sinne des Wortes „vorgeführte“ Kunst, etwa Malerei, Skulptur und Rauminstallation, ihre formalen und materiellen Eigenheiten willfährig auf, als digitale Datei ist die Kunst jetzt nämlich kaum noch mehr als ein möglichst fotogenes Objekt - ein Vorwurf, der bezeichnenderweise schon vor wenigen Jahren der heute bereits nahezu vergessenen, sogenannten Post-Internet-Art gemacht wurde. Last but not least sind die meisten virtuellen Rundgänge als Führung konzipiert, d. h. dass sie sind geprägt durch einen pädagogischen Ton, der einen schnell (autoritär) einen eigenen Zugang zu der Kunst verwehrt.
Zu befürchten ist, dass die Galerie König leider Recht hat mit der Prognose, dass diese virtuellen Rundgänge“für die Zukunft richtungsweisend“ sind. Dieses Abdriften in die Virtualität haben die Reaktionen auf die Corona-Pandemie zwar nicht erfunden, dieses Abdriften gab es, wenn auch in anderem Ausmaß, schon vorher, die Corona-Pandemie aber beschleunigt diesen Prozess augenfällig. Dass dieser am Ende der Corona-Katastrophe rückgängig zu machen ist, dieses scheint mir höchst unwahrscheinlich. Doch es gibt auch sinnvollere Ansätze, mit dem leider wohl notwendigen Schließen von Kunsträumen umzugehen.
So startete die Berliner Galerie Tanja Wagner gerade ihr Internet-Projekt Art in Quarantine: Sie zeigt auf ihrer Website ein wöchentlich wechselndes Videokunst-Programm, das von Künstler*innen ihrer Galerie ausgewählt wird. Kleine, von den KünstlerInnen selbst kuratierte Ausstellungen sind das Ergebnis, die die Möglichkeiten des WWWs, auf eine Art und Weise nutzten, die eben nicht die Kunst substituiert, sondern das Netz medienadäquat einsetzt: Künstlerische Videoarbeiten werden präsentiert und die verlieren in ihrer Netzpräsenz nun einmal nicht die ihnen eigene materielle Qualität, sondern bleiben auch unter dem Diktat des Digitalen bewegte, quasi immaterielle Bilder. Der Wermutstropfen dabei: Das Format ändert sich. Den Anfang bei Art in Quarantine machte die in Wien lebende Künstlerin Anna Witt, derzeit sind drei Arbeiten der aus Sarajewo kommenden Selja Kameric zu sehen.
Interessant auch die angekündigte Initiative der Berliner Galerie carlier/gebauer, die ebenfalls auf Instagram stattfindet: Einmal pro Woche wird ein/e Künstler*in der Galerie in einen Dialog mit einer/m anderen Künstler*in eintreten. Außerdem sprechen die Galerist*innen und ihre Mitarbeiter*innen mit von ihnen eingeladenen Kurator*innen und Sammler*innen über Ausstellungen, die bei carlier/gebauer in den vergangenen Jahrzehnte stattgefunden haben und arbeiten so die Geschichte der Galerie auf. Klug stellt man fest: „Die Kunst der letzten Jahre war extrem schnell und kurzlebig. Die aktuelle Situation zwingt uns zur Entschleunigung. Diesem Zwang möchten wir eine positive Seite abgewinnen“. Statt auf pädagogische Monologe setzt man bei carlier/gebauer also auf hoffentlich spannende Dialoge, statt auf mehr oder weniger kurzweilige Internet-Clips auf „entschleunigte“ Diskurse – gut so!