unmodern talking über den Vortrag „Imagining Invention: From Force to Information“ von Maria Biagioli
Operator Gimme 6-0-9
Kraft. Man sollte meinen, dieser Begriff hat in Zeiten der notwendigen Dekonstruktion von toxischen Männlichkeits–, Nationalitäts- und Machtkonzepten nicht gerade Hochkonjunktur. Anachronistisch, fast abwegig, erscheint es da, dass sich gerade ein neuer Forschungsverbund zu „Imaginarien der Kraft“ an der Universität Hamburg gegründet hat; aber, so die Hoffnung, vielleicht geht es dem großzügig budgetierten DFG-Kolleg ja gerade um eine kritische Annäherung zur Rezeption, Repräsentation und Reproduktion dieses Begriffs, der sich heute in einer wohlverdienten Krise befindet.
Das Forschungskolleg arbeitet interdisziplinär und wird von Vertreter_innen der Geistes- wie der Naturwissenschaften geleitet; zum Eröffnungsvortrag im Warburg-Haus wurde dementsprechend ein Redner geladen, der sich selbst leichtfüßig zwischen Disziplinen und Kontexten zu bewegen scheint; Mario Biagioli, aktuell Leiter des Center for Science and Innovation Studies an der juristischen Fakultät der UC Davis. „Imagining Invention: From Force to Information“ lautet das Thema seines Vortrags, vage und doch Buzzword-Konvolut genug, um Kolleg_innen unterschiedlicher Disziplinen hellhörig zu machen.
Biagioli hat für seinen Vortrag Auszüge aus seiner nächsten Publikation mitgebracht, in der er die geschichtliche Entwicklung des Patentrechts in drei Zeitalter bzw. Episteme unterteilt und darin die sich verändernden Konzepte von „Erfindung“, und ihrer jeweiligen begrifflichen Abgrenzungen wie zB. „Entdeckung“, untersucht. So wird die patentwürdige Erfindung im ersten Zeitalter (1474-1799) vor allem als ein neuartiger Prozess zB. durch eine Maschine verstanden, bei der als Beweis ihrer Neuheit und Funktionalität die Performance eben solcher im Vordergrund stand und ihr Erfinder (sic!) sich vor allem durch die Weitergabe und Lehre seines (sic!) Wissens legitimieren musste, im zweiten Zeitalter (1790-1980) wiederum rückt das Objekt selbst in den Vordergrund sowie auch die textliche Überlieferung und Anleitung der Erfindung; als Teil des „Patent Bargain“, ein Quid-Pro-Quo-Geschäft zwischen Erfinder (sic!), Gesellschaft und Politik, wird die Offenlegung der Mechanik und Funktionsweise der Erfindung (in Form von Text, Zeichnung und Modell) zum relevanten Tauschobjekt, das gegen monetäre Beteiligung und Schutz der eigenen Erfindung feilgeboten wird. Und dann das dritte Zeitalter, Einbruch der Gegenwart, 1980 bis heute, und hier wird es, so Biagioli, richtig haarig. Was tun mit Erfindungen, die keiner Maschine mehr ähneln, sondern bloß Informationen verarbeiten, was tun mit Erfindungen, die sich an Naturgesetzen bedienen (zB. mathematischer Algorithmen) und damit eigentlich zu „Entdeckungen“ zählen und doch zu neuen (und manchmal sogar nützlichen) Ergebnissen kommen – das Patentrecht ist darauf nicht vorbereitet und Biagioli führt durch ernstgemeinte wie bizarr-absurde Versuche, solche Projekte trotzdem mit einem Patent auszustatten und damit als „Erfindung“ zu adeln. Es braucht eine Neudefinition des Patentrechts und damit einher, so Biagioli, wird eine begriffliche Neuordnung der Erfindung selbst gehen, so könnte die Information die Kraft als maßgebende Losung einer Neuentwicklung ablösen und so schließt sich dann auch der Kreis zum Vortragstitel: from force to information.
Etwas sorgenvoll blickt Biagioli dabei aber doch in die Zukunft der Patentämter, die bald vielleicht alles patentieren müssen, wenn sich die Kriterien derart lockern und auflösen. Bevor wir uns dieser Sorge anschließen, drängt sich uns aber erst ein anderes Zukunftsszenario auf: Wie wäre es, wenn man das ganze Patentieren denn einfach sein ließe? Was Biagioli nämlich nur ganz zu Beginn mit einem Nebensatz vermerkt, wird im Laufe des Vortrags auch allzu schnell vergessen: Ein Patent schützt keine Erfindung als solche, ein Patent schützt Eigentum. Eine Erfindung zu patentieren bedeutet gleichzeitig auch immer sie zu kommerzialisieren, Investitionsmasse zu sichern und Entscheidungsmacht zu besetzen. Das Patentrecht wird so niemals philosophisch und erkenntnistheoretisch unbelastete Begrifflichkeiten hervorbringen, auch wenn Biagoli die Zitate der Rechtswissenschaftler_innen unterschiedlicher Zeitalter mit ebendieser Emphase präsentiert, sondern stets und ausschließlich im Sinne seines westlichen, kapitalistischen Kontexts, wirtschaftliche und politische Privilegien reproduzieren.
Biagioli verabsäumt es nicht nur, die Grundlagen und Ausschlüsse seiner zitierten Texte ausreichend zu markieren, geschweige denn kritisch zu demontieren, sondern reproduziert selbst geradezu beschwörend die alten Dualismen von Mensch und Maschine, Natur und Kultur sowie bestenfalls naive Annahmen von freien Körpern, freier Arbeit und gerechtem Gesetz.
Der Redner folgt der akademischen Etikette und beginnt seinen Vortrag mit einem Dank für die Einladung. Er freue sich sehr über die Gelegenheit, Zeit mit Geisteswissenschaftler_innen zu verbringen, denn er selbst würde den Großteil seiner Zeit mit Anwält_innen abhängen. Genau das ist das Problem: Biagioli kommt eben doch aus seiner Bubble nicht raus, trotz aller Disziplinübergreifenden Kompetenzen. Und dies ist auch die Krux mit der Interdisziplinarität: sie bedeutet mehr als sich in unterschiedlichen Bereichen der disziplinierten Academia zu qualifizieren. Es geht darum, Ideen und Erkenntnisse aus einem Bereich in einem anderen fruchtbar zu machen, Synergien zu erzeugen, Wechselwirkungen zu provozieren, die allesamt wiederum Verschiebungen und somit Transformationen bedeuten. Es ist uns durchaus bewusst, dass es in dem juridischen Kontext, in dem sich Biagioli bewegt, in erster Linie darum geht, anwendbare Lösungen für die Gesetzeslage zu finden, die wir nunmal haben – würde jeder Prozess zu einer Grundlagendiskussion führen, die Judikative eines jeden beliebigen Landes wäre innerhalb kürzester Zeit lahmgelegt. (Ob dies ein so großer Verlust wäre, lassen wir dieser Stelle dahingestellt.) Ein geisteswissenschaftliches Forscher*innen Kolleg (das sich obendrein Interdisziplinarität auf die Fahnenstange schreibt) sollte es sich allerdings explizit zur Aufgabe machen, diese Übersetzungsleistung einzufordern. Möglicherweise geschieht das im engen Kreis hinter verschlossenen Türen in der repräsentativen Unterbringung des Kollegs am Stephansplatz tatsächlich – es bleibt allerdings zu hoffen, dass zukünftige Veranstaltungen dies auch nach außen erkennbar werden lassen.