unmodern talking über Olaf Bartels Vortrag „Werner Jakstein und die Architektur der Stadt“
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Bereits die Eingangssituation des Seminarraums im ersten Stock der Hamburger Staatsbibliothek hätte uns stutzig machen sollen: an den notorisch versifften und nach Urin stinkenden Toiletten vorbei geht es in einen winzigen Vorraum voller alter Garderoben-Spints, von dem aus sich wiederum zwei Türen in den Veranstaltungsraum öffnen, wie so oft im Labyrinth der Hamburger Stabi fühlt man sich, als wäre man in einer Falle gelandet. Überrascht stellen wir fest, dass die Veranstaltung ganz gut besucht ist, setzen uns in eine der letzten Reihen und schon geht es pünktlich um 18.00 los. Der Vortrag findet im Rahmen der Ausstellung im Erdgeschoß zum Architekten, Stadtplaner und Autor Werner Jakstein statt, die am 11. Juli eröffnet wurde und noch bis zum 22. September zu sehen sein wird. Der Vortragende Dipl.-Ing. Olaf Bartels selbst war maßgeblich an der Konzeption der Ausstellung beteiligt, hat sich mit dem Nachlass Jaksteins ausgiebig beschäftigt, Archivmaterial aus dem Staatsarchiv, dem Altonaer Museum und der Staatsbibliothek zusammengetragen. Man merkt es direkt: viel Fleißarbeit ist in dieses Projekt geflossen.
In den ersten paar Minuten des Vortrags mit dem Titel „Werner Jakstein und die Architektur der Stadt. Ein Leben für die Baukultur in Altona“ legt Herr Bartels sein eigenes Selbstverständnis als Privatgelehrter dar, spricht über das Ausstellungsprojekt, sein Interesse an Jakstein und die angenehme Zusammenarbeit mit der Stabi. Noch sind wir guter Dinge, auch wenn uns das konstante name-dropping des Redners das Gefühl gibt, unabsichtlich in einen exklusiven Plausch unter Jakstein-Ultras gestolpert zu sein. Weiter geht es mit Altonaer Geschichte: seit 1867 nicht mehr die zweitgrößte Stadt Dänemarks, sondern preußische Provinzstadt, seit 1937 keine eigene Stadt mehr, sondern Teil Hamburgs. Dann Biographisches zu Jakstein, in Potsdam aufgewachsen, 1910 nach Altona, Reisen nach Kopenhagen, ein hervorragender Zeichner, es gibt auch wunderschöne Aquarelle. Unsere Gedanken beginnen abzuschweifen, es wird immer mühsamer zuzuhören. Wann beginnt der interessante Teil? Worauf wollen Sie hinaus, Herr Bartels? Ganz nonchalant und nebenbei legt der Redner während seines Vortrags offen, dass er ein etwa 30 seitiges Manuskript vor sich hat. Langsam bekommen wir es mit der Angst zu tun; die Falle hat tatsächlich zugeschnappt, wir kommen hier nie wieder raus.
Stadtplanung in Altona: Eigentlich ein vielversprechendes Thema. Jakstein war hier 1910 in das Amt des ersten Baupflegers gehoben worden; ein Amt, dass sich aus dem 1907 vom preußischen Staat erlassenen „Gesetz gegen die Verunstaltung von historisch bedeutenden Ortschaften und landwirtschaftlich hervorragenden Gebieten“ ergab. Es galt, ortstypisches Bauen und Gestalten zu fördern – und dafür zuallererst festzulegen, was denn überhaupt als ortstypisch gelten kann und soll. Dass dies keineswegs eine rein ästhetische, sondern auch eine zutiefst ideologische Aufgabenstellung war, der Jakstein da mit Begeisterung nachging, erschließt sich nicht erst dadurch, dass am Zustandekommen dieses Verunstaltungsgesetzes der 1904 gegründete Bund für Heimatschutz wesentlich beteiligt gewesen war. Der Begriff des „Heimatschutzes“ triggert im Jahr 2019 gleich mehrfach – unter anderem weil es unter Horst Seehofer dafür seit 2018 auch wieder ein eigenes Ministerium gibt. Bei Vortragendem und Zuhörenden scheint der Begriff aber nicht weiter anzuecken, es sei schon interessant, ja, aber vor allem ästhetisch und vor allem, wie toll und akribisch sich Jakstein mit eben dieser Formulierung einer ortstypischen Architektur auseinandergesetzt hat. Sozusagen Arten- und Formenbücher hat Jakstein angelegt, in denen er Aufrisse und Fassaden aus Dänemark und Preußen miteinander vergleicht, sie strukturell untersucht und so ein Altonaer Architekturvokabular festzulegen versucht, auf das er in seiner Position als Baupfleger dann Entwürfe anderer Architekt_innen prüfen kann um im Zweifel auch gestaltend einzugreifen.
Bartels zeigt sich sichtlich begeistert von Jaksteins vergleichender Arbeit, von seinen Entwürfen und Analysen, die Bartels „als Leitplanke des modernen Bauens“ verstanden haben will, und die er für seine traditionsbewusste Eigenständigkeit lobt, die nie reine Kopie, aber immer strukturell verknüpft mit ausgewählten Vorbildern ist. Architektur, das wird offensichtlich, versteht Bartels in seinem Vortrag vor Allem als Fassaden, als gemauerte Reliefs, Schilder einer Stadt. Die Funktion, der Innenraum, die Rückseiten und Innenhöfe, die Treppenhäuser, Küchen, Kellerabteile, Gemeinschaftsgärten spielen hier scheinbar keine Rolle. Dies verwundert, geht es doch gerade um Altona, eine der führenden deutschen Städte im neuen sozialen Reformwohnungsbau der zwanziger Jahre. Neben der Baupflegerischen Fragestellung des ortstypischen Architektur-Reinheitsgebots gab es nämlich zeitgleich das viel dringendere Anliegen, der Wohnungsnot der traditionellen Arbeiter_innen- und Fischer_innen-Stadt nachzukommen. Unter dem sozialdemokratischen Bürgermeister Max Brauer entstanden, vor Allem im Verbund mit der der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA, großzügige Wohnanlagen. 1924 hob Max Brauer dazu den Architekten Gustav Oelsner in das Amt des Bausenators, eine Stelle, auf die auch Jakstein spekuliert hatte, jedoch später, so Bartels, trotz dieser Enttäuschung sein Auskommen mit Oelsner gefunden hatte. Wie dieses Auskommen zwischen dem Giebel-Liebhaber Jakstein und dem Flachdach-Pionier Oelsner denn genau ausgesehen hat, hätte uns sehr interessiert, wurde von Bartels aber nicht weiter besprochen. Irgendwie nur nebenbei wurde auch erwähnt, dass sowohl Max Brauer als auch Gustav Oelsner vor der Verfolgung der Nationalsozialisten flohen, Jakstein jedoch bis 1945 auf seinem Posten verblieb. Zwar schrieb Jakstein 1937 zur Eingemeindung Altonas zu Hamburg mit „Liebe Alte Stadt“ eine letzte sentimentale Liebesbekenntnis an die unabhängige „rote“ Stadt, war dann aber als leitender Architekt des Hamburger Bauamtes sogleich an den 1939 von Adolf Hitler genehmigten Plänen für Groß-Hamburg beteiligt. Diese Widersprüche, Paradoxien und Ambivalenzen sind es, die auf Bartels 30-seitigem Manuskript dann doch keinen Platz mehr fanden. Der Privatgelehrte Olaf Bartels zeigt sich restlos begeistert von dem Universalkreativen Werner Jakstein – bei all der Begeisterung für das ganze Spezialwissen des Allrounders vergisst Bartels aber auch, davon zu berichten, dass Jakstein seine Abhandlungen zu historischen Spielkarten zur Not auch im NS-linientreuen Verlag Velhagen & Klasingen veröffentlichte.
In seiner kritiklosen Verehrung tut Bartels nicht nur seinen erschöpften Zuhörer_innen, sondern auch Jakstein selbst keinen Gefallen – all jene Momente und Fragestellungen, die brisant, relevant, kompliziert, herausfordernd und damit interessant gewesen wären, finden in seiner Auseinandersetzung keinen Platz. Eine solche Forschung kann nicht mehr sein als ein letzter Abgesang – ein Nachruf an das Archivmaterial, das nach dem 22. September wieder in der Dunkelheit des Stabi-Labyrinths ruhen wird.