Symposium "Methoden der Intervention"
Mit Beiträgen von Milos Vec (Jurist, Max Planck-Institut für
Rechtsgeschichte in Frankfurt, zur Zeit Wissenschaftskolleg zu Berlin) | Gerald
Raunig (Philosoph, Züricher Hochschule der Künste) | Inga Lemke
(Kulturwissenschaftlerin, Universität Paderborn) | Brigitte Franzen (Direktorin
Forum für Internationale Kunst, Aachen) | Stefan Rettich (Architekt, Hochschule
Bremen) | Michael Sailstorfer (Künstler, Berlin) | Georg Winter (Künstler, HBK
Saar) | Joseph Grima (Chefredakteur Domus, Mailand, Co-Kurator Istanbul Design
Biennal)
Am 3. Mai 2012
untersuchte ein von dem DFG-Forschungsprojekt „Urbane Interventionen“ an der
HFBK ausgerichtetes Symposium Formen und Methoden urbaner Intervention.
In seiner Einführung stellte Friedrich von Borries, Professor für Designtheorie
an der HFBK, das „Glossar der Interventionen“ vor, die im Merve Verlag
erschienene jüngste Publikation des Forschungsprojektes Urbane Interventionen. Christian Hiller, Daniel Kerber, Friederike Wegner und Anna-Lena Wenzel,
wissenschaftliche Mitarbeiter/innen des von der DFG geförderten Projekts unter der Leitung von Friedrich von
Borries verstehen das Glossar als eine „Suchbewegung im Feld der
Erziehungsratgeber, der Wirtschaftslexika und Kunstkataloge, der
Philosophietraktate und militärischen Lageberichte, der Protesthandbücher und UN-Resolutionen“.
Intervention ist überall, das wird schon beim ersten Blättern durch das
kurzweilige kleine Nachschlagewerk deutlich. Unter den vielen „ernsthaften“ Interventionsbezogenen
Einträgen aus Wirtschaft, Forschung, Militär, Politik oder Medizin erscheinen
auch solche, die in dieser Umgebung exotisch wirken. So ist zwischen
„Betriebsintervention“ und „Burnout-Intervention“ auch die besonders robuste
Short „Intervention“ des Surfmode- und Streetwear-Labels Billabong verzeichnet,
und unter „Divine Intervention“ findet sich unter anderem die Abbildung eines
gleichnamigen Hand-Desinfektionsmittels einer Firma aus Pittsburgh. Gerade durch
diese zu allen Rändern hin offene, Humor zulassende Mischung leistet das
Glossar einen wichtigen Beitrag zur Schärfung des Begriffs.
Einer theoretischen
Auslotung des Begriffs war der erste Teil des Symposiums gewidmet. Milos Vec,
vom Max Planck-Institut für Rechtsgeschichte in Frankfurt und zur Zeit
Wissenschaftskolleg zu Berlin, analysierte die Ambivalenzen der Intervention
aus juristischer und völkerrechtlicher Sicht, ausgehend von der Rechtsliteratur
des 19. Jahrhunderts, in der die Frage nach Intervention oder Nicht-Intervention
leidenschaftlich diskutiert wurde. Einmischung und Nicht-Einmischung, aber auch
altertümlichere Formen wie „Dazwischenkunft“, „Zwischenkunft“ oder „Einschritt“
waren die damals gebräuchlichen Begriffe. Soll ein Staat sich in die
Hoheitsgebiete eines anderen Staates einmischen dürfen, und wenn ja, aus
welchen Gründen? Wie für jede umstrittene Praxis wurde nach Regeln gesucht, die
Interventionsrechte, die der Wiener Kongress von 1815 definierte, sind ein
besonders prominentes Beispiel dafür. Es gab aber auch im 19. Jahrhundert
Interessen, das Interventionsrecht nicht zu normieren – der Politik sollte
nicht durch das Völkerrecht die Hände gebunden werden. Insgesamt bleibt die Frage
nach Intervention und Nicht-Intervention ein klassischer Prinzipienkonflikt
zwischen nationaler Autonomie und internationaler Bindung. Der Philosoph Gerald
Raunig, von der Züricher Hochschule der Künste, näherte sich dem Thema aus
einer ganz anderen Richtung. Er setzte die Invention als den geeigneteren
Begriff gegen den der Intervention. Invention sei eine Bewegung in etwas
hinein, die eine Erfindung und neues Terrain zur Folge habe, die Intervention
dagegen ein Einbruch, der auf die Veränderung oder sogar Zerstörung der
ursprünglichen Form abziele. Raunig wendete sehr direkt die Deleuze-Guattari-Theorie
der Mannigfaltigkeiten (Multitudes) auf die Occupy-Bewegung und auf andere
Protestbewegungen der Gegenwart an, und kam dabei insbesondere auf die Praxis
des „human mic“ (menschliches Mikrofon) zu sprechen, wie es auf öffentlichen
Plätzen Anwendung findet, auf denen der Einsatz elektronischer Verstärker
verboten ist. An den abschließenden theoretischen Beitrag von Inga Lemke,
Kulturwissenschaftlerin an der Universität Paderborn, knüpfte sich die
Diskussion, ob Intervention per se subversiv sein muss und per se im
Widerspruch zur Institution steht.
Brigitte Franzen,
Direktorin des Ludwig Forums für internationale Kunst in Aachen, die den
Auftakt zum praxisbezogenen Teil des Symposiums bestritt, sieht Intervention
und Institution nicht unbedingt in einem widersprüchlichen Verhältnis. So hat
Franzen für die Umgestaltung des zum Ludwig Forum gehörenden Gartens die
Landschaftsarchitekten atelier le balto
angeheuert, die in einem über vier Jahre laufenden Prozess den Park um partizipatorische
Angebote erweitern. Jeder Schritt geschieht unter Beteiligung von unterschiedlichen
Nutzer- und Besuchergruppen. Sowohl bei der Landschaftsarchitektur wie auch bei
Kunst im öffentlichen Raum komme man sehr leicht zu einer Funktionalisierung,
insbesondere bei Projekten, die kein „störendes Moment“ enthalten. Aber auch
Störung sei kein wirksamer Schutz vor einer Vereinnahmung, sondern steigere
sogar die Effizienz, wie zum Beispiel das Guerilla-Marketing von Konzernen
zeigt.
Der Architekt
Stefan Rettich, Professor an der Hochschule Bremen, berichtete von Projekten
seines Architekturbüros KARO-Architekten, die sich sehr häufig im Grenzbereich
zur interventionistischen Praxis in der Bildenden Kunst befinden. Schwerpunkt
ist die Arbeit in schrumpfenden Städten, in denen das Verschwinden von Räumen
des sozialen Austauschs ein großes Problem ist. Rettich initiierte im Leipziger
Stadtteil Lindenau die Kollektion
Lindenau, indem er Anwohner bat, Kunstwerke aus ihrer Wohnung zur Verfügung
zu stellen, die dann alle zusammen in einer eigens dafür eingerichteten Galerie
gezeigt wurden. So entstand ein Ort des Austauschs über das, was sonst in den
vier Wänden verborgen bleibt. „Wir bekommen sehr viele Anfragen, quasi als
Dienstleister Interventionen durchzuführen“, so Rettich. Subversiv sei das
natürlich nicht. Das bekannteste Projekt von KARO-Architekten, das Lesezeichen im Magdeburger Stadtteil Solbke,
wurde mit Forschungsgeldern finanziert. Die Freiluft-Bibliothek mit einem
Bestand von 30 000 gespendeten Büchern entstand in einem ergebnisoffenen
Prozess, an dessen Anfang nicht bauliche, sondern soziale und kulturelle
Maßnahmen standen. Über mehrere Jahre wurden durch Veranstaltungen und Aktionen
die Wünsche der Anwohner erörtert, Bücher gesammelt, probeweise eine temporäre
Bücherei aus Bierkästen errichtet und öffentlich Architekturmodelle diskutiert.
Trotz ihrer basisdemokratischen Geschichte ist die 2009 eingeweihte,
preisgekrönte Freiluft-Bibliothek gezeichnet von Nutzungskonflikten und
negativer Aneignung, sprich von Verwahrlosung und Vandalismus. Sie ist ein
beliebter Treffpunkt für Jugendliche, gelesen wird dort eher nicht, berichtete
Rettich. Es scheint also nicht möglich zu sein, städtebauliche Prozesse zu
kalkulieren, ein Umdenken wird oft notwendig.
Nach den künstlerischen
Beiträgen von Michael Sailstorfer und Georg Winter, erweiterte Joseph Grima die
Diskussion um die Perspektive des Designs. Der Chefredakteur des Mailänder Design-Magazins
Domus und Co-Kurator der in diesem
Jahr zum ersten Mal stattfindenden Istanbul
Design Biennal. Anhand einschlägiger Beispiele beleuchtete Grima das
Verhältnis der vom Militär finanzierten, rasant vorangetriebenen technologischen
Entwicklung zu dem parallel dazu entstehenden „Design von unten“. Auf der
Website Make Magazine, eines Forums
das hauptsächlich von technikbegeisterten, tüftelnden Teenagern genutzt wird,
findet sich beispielsweise ein Artikel zu einem umstrittenen Preis, über den
die dem US-Verteidigungsministerium unterstellte DARPA (Defense Advance Research Projects Agency) die Einrichtung
von Makerspaces an Schulen
finanziert. Eine Gegentendenz zur befürchteten Militarisierung der Bildung sei
die demokratisierende Aneignung militärischer Technologie: Wurden Drohnen noch
vor kurzer Zeit von Polizeikräften eingesetzt, um Demonstranten zu verhaften,
sind sie inzwischen per I-Pad zu steuern, für unter 300 US-Dollar zu haben und werden
von Protestbewegungen eingesetzt, um die Polizei zu kontrollieren. Technologie,
so Grima, sei ein „Schlachtfeld der Kontrolle“ und es sei eine wichtige Aufgabe
des Designs als kritische Meta-Disziplin zu fungieren.
Alle Vorträge
des Symposiums sind als Video-Mitschnitte unter www.design.hfbk-hamburg.de abrufbar.