stringfigures@rhizome.hfbk.net: Neujahrsempfang
Habe 2019 drei Mal Weihnachten gefeiert. Drei Mal Bescherung, drei Mal Klöße mit Rotkohl und Braten mit guter Soße.
Habe mal wieder Weihnachtsdekoration bekommen mit dem Hinweis „Die kannst du ja jedes Jahr aufstellen.“
Habe noch nie gesehen wie mein Boyfriend Weihnachtsdeko geschenkt bekommt.
Habe diese Weihnachtsdekoration draußen zum Mitnehmen hingestellt. War nach 30 Sekunden weg. War wohl ein schönes Teil.
Habe allen gesagt, was sie schenken können und was sie nicht schenken sollen.
Habe jetzt zwei Campingbusse von Playmobil zu Hause.
Habe manchen gesagt, dass ich 2020 vegetarisch essen möchte. Antwort 1: „Was willst du denn dann bestellen, an meinem Geburtstag, im Restaurant.?“ Antwort 2: “…” (Betretenes Schweigen.)
Habe mir auch vorgenommen, dass ich wie immer ab Silvester Zucker verzichte.
Habe es am 3. Januar vergessen und aus Versehen Lumumba bestellt. War lecker.
Habe Silvester viele Freunde getroffen, die Häuser kaufen und Arzt oder Jurist sind.
Habe an meine Rente gedacht und seitdem ein enges Herz.
Habe mir Freunden geredet, die dann sagen, dafür bist du frei. Ich fühle mich aber nicht frei, weil ich einer Lohnarbeit nachgehe, die nicht sehr viel Geld bringt. Dann sagen Leute, mach doch Werbung, mach doch Architekturfotos, mach doch was, was mehr Geld bringt.
Habe Ekel vor diesen Fotojobs.
Habe keine Lust darauf.
Habe keine Kraft dafür.
Habe.
Habe?
Habe!
Habe mich zum Glück für eine kleine Weile anstellen lassen.
Habe jetzt drei Monate ein festes Einkommen.
Habe morgen meinen ersten Tag. (War ok. Aber schlimm.)
(Habe keine Lust zu Arbeiten um Geld für Kunst zu verdienen, aber habe dann den ‘letter to a young artist’ von Baldessari r.i.p. gelesen und mich faul gefühlt.)
Habe viele Ideen und keine Zeit.
Habe mir vorgenommen, mir nichts vorzunehmen um anschließend eine Liste mit Dingen zu machen, die ich mir vornehme, weil ich mal gelesen habe, wenn man es sich aufschreibt ist die Chance größer, dass die Dinge umgesetzt werden.
Habe am Neujahrstag zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Tatort geschaut und fand die Idee gut. War eine Art Kammerspiel, alle Schauspieler*innen mussten improvisieren. Es war nicht perfekt, aber was ist schon perfekt? (Floskel, aber ok.)
Habe dann was dazu lesen wollen, aber alle Beiträge haben diesen Tatort zerissen und arg kritisiert.
Habe das nicht verstanden und finde, dass es manchmal auch zu einfach ist, alles immer zu kritisieren und zu zerreissen. Man kann auch mal was gut finden. Einfach so.
Habe auch den neuen Star Wars geguckt. Er entschädigt das beschissene Verhalten von Harrison Han Solo Ford in allen Teilen. Ich fands ok.
Habe nichts dazu nachgelesen, weil ich nicht wieder auf ewige Kritiken stoßen wollte.
Habe Vitamin D Tabletten gekauft.
Habe geweint, weil meine Freundin ihre Mutter verloren hat.
Habe mein Kind dabei angelächelt, damit es nicht so traurig ist, weil ich traurig war. Es hat dann gefragt, ob sie jetzt durch die Luft nach oben steigt.
Habe „Ja.“ gesagt. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“
Habe mit ihm einen Spaziergang über den Friedhof gemacht. Mein Freund war auch dabei. Unser Sohn hat gefragt, ob die Toten dann Skelette werden, ob die dann wieder aufstehen, ob es Vampire gibt, ob es Zombies gibt, was Zombies sind, ob Tiere wieder aufstehen, wenn sie tot sind, ob Skelette zerstört werden müssen, warum manche sich begraben lassem wenn sie tot sind, ob die Toten dann nur Erde sehen.
Habe alle Fragen gekonnt beantwortet und gemerkt, dass es unvorstellbar ist, dass man nach dem Tod nichts mehr wahrnimmt. Vielleicht. Wahrscheinlich.
Habe die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin angeschaut. Mein Sohn hat gefragt „Wer ist das?“. Ich habe gesagt „Das ist die Chefin von Deutschland.“
Habe ein ziemlich aufregendes Leben.
Habe ein ziemlich aufgeregtes Leben.
Habe neulich geheult, weil einer zu meinem Sohn sagte, wenn du mal Künstler wirst, dann in professionell. Das war echt kein lustiger Witz. Einer hat sich auch entschuldigt. Ich mag ihn noch.
Habe darüber nachgedacht, wie viel Kapitalismus in diesem Satz steckt. Professionalität durch Geld? Ab wann ist man professionelle Künstlerin?
Habe ich professionelle Gedanken?
Habe schon wieder den Talk mit Freund*innen gehabt, wie ich mehr Geld verdienen könnte. Alle haben gute Ideen, aber es ist so eine Sache mit den Geschäftsideen.
Habe neulich beim Duschen die beste Idee gehabt: wir bohren ein Loch in die Erde, bis zum Mittelpunkt. Der Müll aus der ganzen Welt kann dann da rein geschmissen werden. Daraus wird Energie frei gesetzt, die können wir dann nutzen.
Habe jetzt genug Energie für 2020.
Dear Young Artist,
I started my career as a young artist in 1957. Then, there was not the money in art that there is today. Therefore, one made art because one needed to do so. I taught public school five days a week and painted when I could. I got married and participated in having two children, which made it more difficult to make art. I lived in National City, California, not an art center.
My advice? Don’t go into art for fame or fortune. Do it because you cannot not do it. Being an artist is a combination of talent and obsession. Live in New York, LA, Koln, or London. As for money: If you’re talented and obsessed, you’ll find a solution.
Yrs in art,
John Baldessari