Die neue Tresen-Kolumne
Medizinische Gerätetechnik
Die längste Zeit meiner Lohnarbeiten verbringe ich damit, auf andere Menschen zu warten. Ich warte darauf, dass sie ausgetrunken haben, dass sie fertig geknutscht haben, dass der Streit zu Ende gestritten wurde, dass sie die ganze Ausstellung gesehen haben, dass sie fertig sind mit ihrem Wiener Schnitzel, dass das Taxi mir Person X bringt oder dass das Taxi Person Y abholt. Währenddessen poliere ich Gläser, wische über Oberflächen, nicke hier und da, binde mir die Schuhe zu, sage ab und an: „Ach wirklich?“. Ich verschränke die Arme hinterm Rücken, drehe noch eine Runde durch den Raum, trinke einen Schluck, schaue auf mein Telefon, richte Ausstellungstexte rechtwinklig aus, richte Handtücher rechtwinklig aus, richte Streichhölzer rechtwinklig aus, richte Portfolios rechtwinklig aus, mein Gesicht in Neutralposition. Wenn ich die Stunden, die ich in Lohnarbeitsverhältnissen auf Menschen und das Finalisieren ihrer Handlungen gewartet habe, zu Tagen und zu Jahren zusammenfassen würde, dann wäre mein verwartetes Ich jetzt wohl um die sieben Jahre alt, 3. Klasse ungefähr. In sieben Jahren hätte ich zwei weitere Ausbildungen machen können: Zum Assistenten - medizinische Gerätetechnik oder zum Rolladen- und Sonnenschutzmechatroniker oder beides. Ich hätte nicht ganz zwei 4-Jährige Beziehungen führen können. Ok, dazwischen müsste man wohl noch etwas Zeit für die Trauer- und Carearbeit einplanen: also eine plus ein bisschen. Nicht, dass sie mir fehlen, diese imaginären Ausbildungen und Beziehungen, aber die Zeit in der für 6 bis 12 Euro irgendwo mein Leben fremdbestimmt verrinnt, bekomme ich nicht wieder. Es wird kein Brief kommen, in dem steht: „Eigentlich wären sie jetzt tot. Sie haben allerdings auf Ihrem Zeitkontingent noch 7 Jahre, die werden ihnen jetzt gutgeschrieben.“ Man stirbt halt einfach irgendwann. Schade, also für mich schade. Ich glaube nicht, dass ein Leben nur dann „richtig“ ist, wenn es zu 100% aus aktiven Handlungen besteht, aber manchmal, nicht immer, da mischt sich in die Zufriedenheit über einen wachsenden und professionell daherkommenden CV auch einfach und plötzlich großes und bitteres Bedauern, welches in diesem Text, der auch meine Arbeit ist, seine warenförmige Entsprechung findet. Na bitte, es geht nichts verloren.