Die Tresen-Kolumne: Posterboys
Posterboys
Als ich mit dem Schreiben anfangen wollte, ist die Glühbirne am Schreibtisch durchgebrannt und hat die Sicherung mit sich gerissen. Licht aus, Strom weg, Dokument verschwunden. Also alles neu, zum Glück gibt es die Wiederherstellungsfunktion bei Open Office. Also habe ich es wiederherstellen lassen, das leere Dokument. Ich hatte ja noch nichts geschrieben. Habe mir die Traueranzeige um Hans-Joachim Lenger durchgelesen. Ihn mochte ich immer gern, vor seinen Seminaren hatte ich aber lange Angst. Das waren immer so Orte, die so aussahen, wie wenn in Filmen Kunsthochschulen dargestellt werden sollen: Rauchende Menschen mit Baskenmützen reden über Marx und lachen kollektiv, wenn jemand „neues“ etwas „dummes“ fragt. Lenger hatte eigentlich immer einen solidarischen Umgang mit solchen Fragen, aber seine Seminare waren, zumindest in meiner Zeit und in meiner Empfindung, die Melting Pots für Studierende mit einem Hang zu Überlegenheitsgesten. Das lag vielleicht ein bisschen an den Autoren: Lacan, Marx, Deleuze, Benjamin etc.. Inzwischen für mich teilweise richtig wichtige Texte, gute Grundlagen, aber eben auch gut verklärbar als Posterboys romantisch - pessimistischer Unangepasstheit. Die so in Gang gesetzte Produktion von Normativität und theoretischer Gesetzgebung in den Gängen der HfbK trieb mich quasi aus Trotz in die Arme einer stark vereinfachten aber trockenen Logik. Totaler Quatsch natürlich, da per Definition genauso normativ und ausschließend, aber es gab mir irgendwie eine Richtung vor. Das hat geholfen, auch wenn in Büchern wie „Konstruktive Fragelogik Band I“ nicht besonders viel über Kunst rauszuziehen war. Wie ein Kind, dass aus Trotz über das ungeliebte Mittagessen anfängt, den Teller zu verspeisen. Heute denke ich an die Seminare bei Lenger zurück und erzähle manchmal ein paar Geschichten daraus, zum Beispiel wie es im Marx Seminar um Kapitalflüsse ging, die Diskussion aber darüber geführt wurde, dass es problematisch sei, Flüsse mit Attributen zu versehen, da überhaupt nicht geklärt sei, ob Flüsse nicht bewusste Entitäten seien. Das war der kurze Zeitrahmen, in dem der spekulative Realismus, eigentlich so eine Art magische Phänomenologie, ein Thing an Kunsthochschulen war, der natürlich auch wieder seine eigenen Chefs an der HfbK erzeugte. So, hoffentlich fällt der Strom nicht gleich wieder aus. Ich glaube, über die metaphysische Qualität der Wiederherstellung leerer Dokumente hätte Lenger sicher einiges zu sagen gehabt.