Tresen Kolumne: Stuttgart 20
Stuttgart 20
Nach all den Diskussionen um Rassismus und Polizeigewalt auch in Deutschland, die prominent durch die Medien gingen, nachdem in den USA George Floyd von vier Polizisten ermordet wurde (in der Zwischenzeit sind hier wie dort ein paar Tote hinzugekommen), sieht die in Bedrängnis geratene Exekutive hier gerade wieder die Chance, einen Ausfall zu wagen. Nachdem in der Taz Hengameh Yaghoobifarah in einer Kolumne über die fiktive Abschaffung der Polizei und die (Un-)möglichkeiten einer Weiterbeschäftigung der nun freigewordenen Arbeitskräfte nachdachte, endlud sich andernorts kurze Zeit später nach einer Drogenkontrolle an einem Cornerspot in Stuttgart der Frust über die gewaltvolle Omnipräsenz der Polizei in einem sponten Aufstand der Menschen vor Ort. Allerlei Ding und Mensch ging in dieser Sommernacht zu Bruch.
Die rechten Internettrolle, die Polizeigewerkschaften und der Innenminister sahen einen Zusammenhang zwischen Yaghoobifarahs Schmähtext und der Stuttgarter Gewaltnacht und verklagten unisono die Taz und aber vor allem Hengameh Yaghoobifarah persönlich. (Ob der Innenminister wirklich klagt, ist derzeit noch unbekannt. Irgendjemand innerhalb seiner Regierung hat ihn wohl darauf hingewiesen, dass das als ein Angriff auf die Pressefreiheit zu lesen sei.) Die CSU, also die Partei des Innenministers, twitterte ein Bild Yaghoobifarahs mit dem Titel „Die hässliche Fratze der hasserfüllten Linken“. Es ist ein Wunder, dass sie nicht gleich auch noch Meldeanschrift und Arbeitszeiten unter den Post setzten, so sehr war ebendieser darauf angelegt, Hengameh zum Abschuss durch die geifernde Community freizugeben. Derweil verurteilte man die unpolitische Gewaltnacht in Stuttgart.
Selbst Präsident Steinmeier zückte die wehrhafte Rechtstaatskeule. Unpolitisch sei es dort zugegangen, weil niemand ein Transparent dabei hatte oder gemeinsame Sprüche skandiert wurden. Natürlich sind spontante Ausbrüche, die sich gegen das Gängelband der ständigen Kontrollen richten, nicht unpolitisch, selbst wenn es den Leuten in dieser Situation an gemeinsamen Ausdruck fehlt. Gerade Baden-Württemberg, ein Land, dessen Innenministerium eine Vorreiterrolle in den neuen Polizeibefugnissen zur Terrorabwehr eingenommen hat (Auf der Wunschliste standen: Onlinedurchsuchung bis zu Handgranaten bei Hausräumungen) kommt in Erklärungsnot, wenn die neue Antiterrorpolizei beim Üben an ihren eigenen Bürger:innen auf Widerstand trifft. Freund:innen aus Stuttgart meinten, die Ausschreitungen hatten kein größeres Ausmaß gehabt als jedes Sylvester.
Das revolutionäre Potenzial von gewalttätigen Jungmännergruppen ist natürlich fragwürdig, noch fragwürdiger ist es allerdings, einen Zusammenhang zwischen einer Taz-Kolumne und dem Beginn eines kleinen Riots in Stuttgart herbeizuzaubern. Ich denke aber, die ganze Causa war vor allem ein Ausblick für das, was bald normal sein wird. Eine Exekutive in Erklärungsnot sieht sich finsteren Mächten ausgesetzt, die im Verborgenen an ihrem Fundament nagen. Und wer könnte sich als Gesicht dieser Verschwörung am besten eignen, als die queere Person mit dem undeutschen Namen und dem Sprachrohr in die allerextremsten Gewaltkreise: Taz-Leser:innen?