unmodern talking über Matthew Wallraffs Vortrag zu den Beziehungen zwischen „Mensch“ und „Natur“ in den naturphilosophischen Diskursen der Weimarer Republik
Mrs. Robota
„Es lebt und wirkt, wenn man so sagen darf, der gleiche Bautrieb im Grashalm, im Baumstamm und in der Blüte, wie im Hirn, in den Nerven und in den Händen des Menschen.“, schreibt der Journalist Robert Breuer in der Juni Ausgabe der Zeitschrift UHU des Jahres 1926. In seinem Artikel „Grüne Architektur“ postuliert Breuer ein „dem Menschen“ und „der Natur“ gemeinsames Prinzip des Hervorbringens und Formens. Seine These begleiten Karl Blossfeldt’s berühmte Pflanzenfotografien sowie – jeweils in der Gegenüberstellung – Fotografien von Architekturen, die mit der Formensprache der abgebildeten Pflanze korrespondieren. Diese suggestiven Arrangements stehen im Dienst der Beweisführung, oder mehr noch, sie sind das eigentliche Argument.
Wie die Beziehungen zwischen „Mensch“ und „Natur“ in den naturphilosophischen Diskursen der Weimarer Republik des beginnenden 20. Jahrhunderts gedacht und bildhaft gemacht wurden, ging Matthew Vollgraff am vergangenen Freitag bei der Tagung „Form- und Bewegungskräfte“ der DFG-Kolleg-Forschergruppe „Imaginarien der Kraft“ nach. Einmal mehr wird bei diesem Vortrag greifbar, wie gerade Bestrebungen der Abgrenzung oftmals intensive Annäherungen mit sich bringen. Wurden Technik und Industrie vielfach als der „organischen Natur“ diametral gegenüberstehend konstruiert, und als ultimatives Brainchild menschlichen Intellekts gefeiert, gab es, wie so oft, eben auch Gegenstimmen. Ein Beispiel dafür stand im Zentrum des Vortrages: die Publikation „Die Pflanze als Erfinder“ des Biologen Raoul Francé von 1919 wird in diesem Kontext als eine Lobeshymne an die Ingenuität von Pflanzen lesbar. Der Autor stellt sich hier explizit der Hybris „des Menschen“ (in Wahrheit natürlich eine europäisch geprägte, weiße bürgerliche Elite) entgegen, sich selbst und die eigenen Errungenschaften als denjenigen „der Natur“ übergeordnet zu verstehen. Francé plädiert sogar für das Gegenteil: Pflanzen hätten lange vor dem Menschen die Ballistik für ihre Zwecke zu nutzen gewusst, hätten den Fallschirm und den Heißluftballon hervorgebracht und statische Meisterleistungen vollbracht, an denen sich höchstens die allergrößten architektonischen Errungenschaften wie etwa der Dogenpalast in Venedig messen lassen könnten. Auch hier liefern Bilder die Argumente, in klugen Gegenüberstellungen scheinen sie gewissermaßen für sich zu sprechen. Das Resultat, so Vollgraff, sei nicht etwa eine anthropomorphisierte Sicht auf die Natur, sondern eine „blasphemous inversion of the scala naturae“, in der Pflanzen, Algen und Mikroorganismen als die eigentliche intellektuelle Speerspitze der Schöpfung verklärt werden: „There may be no Newton of the blade of grass, but every blade of grass is a Newton.“
Was zunächst nach einer proto-posthumanistischen Position klingt, entpuppt sich schnell als einem kapitalistischen und patriarchalen Denkraum verpflichtet. Denn, so Francé, was Natur wirklich gut kann, ist Effizienz: Pflanzen sind perfekte Maschinen, die dem „Prinzip des kleinsten Kraftmaßes“ folgen, sie erzielen also mit dem geringst möglichen Aufwand den meisten Nutzen. Vollgraff macht zurecht darauf aufmerksam, dass hier der Aristotelische Topos der Natur als brave Hausfrau, die nichts verschwendet, zum Tragen kommt. Mehr noch: was begann als eine Inversion der Hierarchie von (weiblich kodierter) Natur und (männlich kodierter) Kultur, wird über den Umweg der Ökonomie und der Effizienz nun doch wieder in patriarchale Argumentationsmuster eingespeist: am Ende des Tages gewinnt die Natur nur, wenn sie sich benimmt – bitch behave. „Unnützes“ Wuchern und Sprießen, verschwenderische Geilheit, vulgäre Extravaganz, all das kann Francés Natur nicht, sie findet lediglich die ihre angemessene technische Form für ihr jeweiliges Set an technischen Problemen. Oder anders formuliert: Francé weist der Natur eine dem Menschen übergeordnete Stellung zu, indem er ihr (männlich kodierte) Fähigkeiten zuspricht, die sie als intellektuelle, ökonomisch denkende Größe agieren lässt. „Andere“ Dimensionen der Natur, wie etwa Überschwänglichkeit, Launenhaftigkeit, und nicht zuletzt Unkontrollierbarkeit, werden ausgeblendet. Im Umkehrschluss ist das Resultat eine Überhöhung von allem, was mit Kultur in Verbindung steht und damit implizit doch wieder Fähigkeiten, die ausschließlich Menschen zugeschrieben werden. Insbesondere ist es dabei natürlich vor allem die Kulturleistung der Bild- und Wissensproduktion selbst, das „Entdecken“, „Forschen“ und „Gegenüberstellen“, das in Francés Texten eigentlich im Vordergrund steht – nur durch seine wissenschaftliche und sprachliche Übersetzungsleistung schließlich wird die „Natur“ sicht- und lesbar – was wie objektive Darstellungen und Modelle aussehen soll, sind eigentlich Metaphern einer anthropogenen Erzählung.
Vielsagend ist es übrigens auch, dass laut Francé nur an einer Stelle die „Gestaltungsökonomie“ von Pflanzen aufgehoben wird, nämlich wenn es um Fortpflanzung geht, die etwas andere Art der Notwendigkeit.