Symposium "Kunst der Intervention"
Die Kunst der Intervention. Gesellschaftliche Eingriffe von Kunst, Politik und Militär / Podiumsdiskussion: Intervention: Neue Orte des Politischen
15. Juni 2011
Mit Beiträgen von Alain Bieber, ARTE Creative | Berit Bliesemann de Guevara, HSU | Friedrich von Borries, HFBK | Michael Daxner, Institut für Sozialwissenschaften der Universität Oldenburg | Amelie Deuflhard, Kampnagel, Hamburg | Matthias von Hartz, Internationales Sommerfestival Kampnagel, Hamburg | Torsten Michaelsen, Künstlergruppe LIGNA | Martina Reuter, Wochenklausur, Wien | Dieter Rucht, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung | Klaus Schlichte, Institut für Interkulturelle und Internationale Studien,
Universität Bremen | Bruno Schoch, Hessische Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung (HSFK) | Norbert Seitz, Kulturredaktion Deutschlandfunk, Köln | Regula Stämpfli, Politikwissenschaftlerin, Brüssel | Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Bundestages, Bündnis 90 / Die Grünen | Jörn Thießen, Führungsakademie der Bundeswehr
Fachbereich Human- und Sozialwissenschaft | Wolfgang Zinggl, Wochenklausur, Wien
Am 15. Juni 2011 versuchten ein ganztägiges Symposium und
eine Abendveranstaltung das Konzept der
Intervention, das in Politik, Militär aber auch in der Kunst und anderen
Bereichen Anwendung findet, auf verschiedenen Ebenen zu diskutieren.
Veranstalter waren die HFBK, die Helmut Schmidt Universität – Universität der
Bundeswehr (HSU) und die Körber-Stiftung. Auf Einladung der Initiatoren
Friedrich von Borries, Professor für Theorie und Geschichte an der HFBK, und
Berit Bliesemann de Guevara, Politikwissenschaftlerin und Mitarbeiterin am
Institut für Internationale Politik an der HSU, kamen ReferentInnen und
Publikum aus ganz unterschiedlichen Gesellschafts- und Wissenschaftsbereichen
im Körber Forum zusammen.
Intervention, abgeleitet vom lateinischen „intervenire“,
dazwischenkommen, dazwischentreten, sich einschalten, bedeutet immer ein
aktives Eingreifen in bestehende Zusammenhänge, erläuterten Berit Bliesemann de
Guevara und Friedrich von Borries in ihrer Einleitung. Die angestrebte
Veränderung ist eine zum Besseren, auch wenn erst verhandelt werden muss, wie
dieses „besser“ definiert ist. Politische und militärische Interventionen in
Krisenregionen dienen vordergründig der humanitären Hilfe und der Verhinderung
von Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Völkermord und der Schaffung von
Verwaltungs- und Infrastrukturen, die das Krisengebiet stabilisieren. Doch
Statebuilding steht zunehmend als Instrument westlicher Machtpolitik in der
Kritik. In gewisser Weise formulieren Designer und Künstler, die sich mit
Interventionen in gesellschaftliche Prozesse einmischen, was seit den 1990er
Jahren verstärkt geschieht, ein Gegenbild dazu. Ihre Eingriffe setzen meist bei
ganz konkreten Problemen an und sind von intensiver Kommunikation begleitet.
In der ersten Runde des Symposiums erörterten Michael Daxner
, Leiter des Projekts „Impact of Interventions in Afghanistan“ im
Sonderforschungsbereich Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ an der
FU Berlin, und Jörn Thießen, evangelischer Theologe und Direktor bei der
Führungsakademie der Bundeswehr und Leiter des Fachbereichs Human- und
Sozialwissenschaft, die Problematik politischer und militärischer
Interventionen. Daxner, der als Bildungsexperte unter anderem Studien im Kosovo
und in Afghanistan geleitet hat, betonte die entscheidende Rolle des
Heimatdiskurses bei der Entwicklung der Beziehung zwischen Intervenierenden und
Intervenierten. Heimatdiskurs bezeichnet „die Summe aller diskursiven Praktiken
und Strategien, die sich mit der Legitimation, Anerkennung und Bewertung von
Politik und Truppeneinsatz außerhalb des nationalen Territoriums befassen“, so
Daxner. Der sei in Deutschland von Unklarheiten bestimmt, etwa darüber, wer das
„wir“ sei, dass sich zur Intervention positionieren müsse. Dafür fand Jörn
Thießen in seinem sehr emphatischen und emotionalen Beitrag eine einfache
Antwort, die später im Publikum kritisch aufgegriffen wurde: „Wir sind alle
Interventionisten!“ Qua Mandat sei es das Volk, das sich für einen
militärischen Einsatz entscheidet, wenn das Parlament einen solchen beschließe,
so Thießen.
Im zweiten Teil sprachen Torsten Michaelsen von der Hamburger Künstlergruppe
LIGNA, Wolfgang Zinggl und Martina Reuter von der Wiener Künstlergruppe Wochenklausur
und Moderator Klaus Schlichte, Professor für Interkulturelle und Internationale
Studien an der Universtät Bremen, über Formen künstlerischer Intervention. Ihre
interventionistische Praxis startete Wochenklausur 1993: Eingeladen von der Wiener
Secession verzichtete die Gruppe auf eine Ausstellung und konzipierte ein
Projekt zur kostenlosen medizinischen Versorgung Obdachloser. Bis heute hat
Wochenklausur weltweit 27 ähnliche Projekte realisiert. Diese Arbeitsweise warf
im Publikum die Frage auf, ob nicht in diesem Fall die Kunst als
„Reparaturbetrieb“ eingesetzt werde und ob es überhaupt noch als künstlerische
Praxis zu betrachten sei, wenn die Kunst dort einspringt, wo die Politik
versagt. Wolfgang Zinggl, der als Abgeordneter der Grünen im österreichischen
Nationalrat zugleich Künstler und Politiker ist, hielt dagegen, dass die Kraft
der künstlerischen Intervention in der Inszenierung liege. Nach den
„Klausuren“, die jeweils drei- bis vier Wochen dauern, werde das Thema an die
Politik zurückgegeben. Vielleicht muss man eine Intervention auch so gestalten,
dass sie auf Protest stößt“, wand Torsten Michaelsen von LIGNA ein. Mit
„Übungen“ im städtischen Raum wendet sich die Künstlergruppe seit 1997 an ein
großes, anonymes Publikum und befragt so den öffentlichen Raum auf seine Handlungsspielräume.
Insgesamt wurde festgestellt, dass auch künstlerische Interventionen das
Problem der Episodenhaftigkeit haben, was dort aber im Gegensatz zur Politik wesentlich
leichter zu verschmerzen, wenn nicht gar nutzbar zu machen ist.
Über die Wirksamkeit sowohl politischer und
militärischer, als auch künstlerischer Interventionen reflektierten im dritten
Teil Alain Bieber, Journalist, Leiter von Arte Creative und Mitherausgeber der Publikation
„Art & Agenda. Political Art and Activism“ und Bruno Schoch,
wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung (HSFK), Herausgeberin des jährlichen Friedensgutachtens. „Die
Künstler verhalten sich wie Parasiten, die wissen, dass sie den Wirt nicht
töten können, attackieren aber mit Leidenschaft den Organismus, um ein wenig
Chaos in die Ordnung zu bringen“, so Biebers Einschätzung subversiver
Strategien in der Kunst. Immerhin lassen sich mit Hilfe der Kunst
gesellschaftliche Utopien denken. Auch die Künstlerinnen und Künstler riskieren
dabei viel, von Gefängnisstrafen bis zu lebensbedrohlichen Angriffen wie im
Falle des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, betonte Bieber auf eine Kritik aus
dem Publikum hin, die Gefahren für Soldaten und für Künstler seien nicht zu
vergleichen. Es fehlen bei militärischen Interventionen klare Kriterien, wann
ein Eingriff notwendig und sinnvoll ist und wann er beendet sein sollte, so
Bruno Schoch. Während es beispielsweise auf dem Balkan gelungen sei, das
ethnisch motivierte Morden zu stoppen, habe es in Ruanda 800 000 Tote in drei
Monaten gegeben. So blieb am Ende der Diskussionsrunde und des Symposiums die
Frage, ob in dieser einpolaren Welt eine neue Ära der Staatenbildung zu
erwarten ist? Und ob wir uns nicht Sand in die Augen streuen, wenn wir von
Statebuilding und Nationbuilding reden?
Im Rahmen der anschließenden
Abendveranstaltung »Interventionen: Neue Orte des Politischen«, die live im Deutschlandfunk
übertragen wurde, diskutierten Friedrich von Borries, der Bundestagsabgeordnete
Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), der Soziologe Dieter Rucht und
die Schweizer Politologin und Publizistin Regula Stämpfli moderiert von Norbert
Seitz, Kulturredakteur beim Deutschlandfunk, über die neue Einmischungskultur
in der Politik, die sich in den Protesten gegen Stuttgart 21, den
Auseinandersetzungen um das Hamburger Gängeviertel, Volksentscheiden, oder den
Jugendbewegungen in Spanien und Griechenland äußert. Das Internet ist zum Ort
dieser Auseinandersetzung geworden, doch zunehmend auch wieder traditionelle
Orte des Protests wie Straßen und Plätze, durch die Paarung des virtuellen mit
dem physischen Raum entstehe ein neuer Ort, so Friedrich von Borries . Die neue
Interventionskultur wurde von allen Teilnehmern positiv eingeschätzt. Regula
Stämpfli, als Schweizer Staatsbürgerin mit der direkten Demokratie vertraut,
erwies sich als die einzige in der Runde, die Volks- und Bürgerentscheide
durchaus kritisch betrachtet: „Es muss eine Sensibilität für die Grenzen der
direkten Demokratie bestehen“, sagte sie, unter anderem im Hinblick auf das
durch Bürgerentscheid durchgesetzte Minarett-Verbot in der Schweiz. Ihr
Ratschlag für das Leben in einer Mediendemokratie hallte nach dem Ende der
Veranstaltung noch lange nach: „Programmiersprachen sind heute die Sprachen der
Emanzipation: Lernen Sie Hacken!“.
KörberForum, Kehrwieder 12,
Hamburg
Veranstalter: Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) / Helmut-Schmidt-Universität
– Universität der Bundeswehr Hamburg (HSU) / Körber-StiftungInitiatoren:
Friedrich von Borries, HFBK, Berit Bliesemann de Guevara, HSU