Dr. phil. in art. Sandra Schäfer
Spaces and Militancy
Betreuung: Prof. Dr. Michaela Ott, Brad Butler (Künstler, London), Harun Farocki (bis 2014)
Disputation: 13. Dezember 2018
Sandra Schäfer: „Meine künstlerische Forschung beschäftigt sich mit Filmen und Räumen, die in das Verhältnis von Macht, Gewalt und Befreiung eingreifen. Hierzu setze ich Reflexionen von Theoretiker*innen und Aktivist*innen wie Hannah Arendt, Frantz Fanon, Walter Benjamin, Judith Butler, Klaus Viehmann, Walid el Houri und Nick Montgomery & Clara Bergmann zueinander in Beziehung, um zu einem besseren Verständnis von dem Verhältnis von Macht, Gewalt und Befreiung zu gelangen.
Bei diesen Texten handelt es sich um ein situiertes Wissen, das zu einer bestimmten Zeit aus einer spezifischen Perspektive und einem damit verbundenen gesellschaftspolitischen Involviertsein geschrieben wurde, weshalb die verschiedenen Reflexionen auch im Widerspruch zueinander stehen. Die militante Bildproduktion ist Teil dieser zueinander im Widerstreit stehenden Ansichten. Und so untersuche ich filmische Methoden des militanten Kinos der Dekolonialisierungs- und Befreiungskämpfe. Hierzu gehören auch mediale Produktionen während der Radikalisierung der Student*innenbewegung in Westdeutschland sowie die Analyse zeitgenössischer Filme. Ausgehend von diesen Beispielen entwickele ich eine Methodik des militanten Bildes. Diese dient mir als Grundlage zu meiner eigenen filmkünstlerischen Arbeit im Kontext der Hisbollah im Libanon. In meiner filmkünstlerischen Arbeit stehen zwei „Projekte“ der Hisbollah in Libanon im Zentrum: das Museum des Widerstands in Süd-Libanon und der Wiederaufbau des Stadtteils Haret Hreik nach der Bombardierung durch das israelische Militär im Jahr 2006. Wie setzt die Hisbollah Raum und Architektur ein, um Machtverhältnisse zu verschieben? Wie zeigen sich Machtverhältnisse in Architektur und nehmen Einfluss auf Erinnerung und Identität? Durch meine Arbeit als Bildproduzentin in den Territorien der Hisbollah nehme ich sowohl die Methoden der Hisbollah, als auch meine eigenen Methoden zum Gegenstand der Forschung. Zwei Videoinstallationen sind hierbei entstanden: die Zweikanal-Installation Mleeta und die Vierkanal-Installation Constructed Futures: Haret Hreik. Sie wurden auf der 66. bzw. 67. Berlinale in der Sektion Forum Expanded erstmalig gezeigt. In den filmkünstlerischen Arbeiten entwickele ich spezifische Methoden wie das Scratching, das Arbeiten mit langen Kameraeinstellungen versus Bewegung, das Arbeiten mit der Vertikalität und Horizontalität des Raums, der „weichen Montage“ in der Zweikanal Installation oder die Inszenierung von minoritären Gesten. Letztere war inspiriert von Kaja Silvermans Idee der Pose und der damit verbundenen subjektiven Bildeinschreibung, die aber in meinem Fall einer Abwandlung bedurfte hin zu einer Uneindeutigkeit und Opakheit. Insofern findet in meiner künstlerischen Arbeit keine bloße Anwendung von Theorien statt, sondern eine eigenständige Wissensproduktion, die aus der filmkünstlerischen Arbeit in einem spezifischen Kontext entsteht. Mein Text reflektiert diesen Arbeitsprozess.
Im September 2019 werden beide Installationen im Rahmen einer Einzelausstellung in Beirut gezeigt und im Herbst 2019 erscheint das Buch Moments of Rupture. Spaces, Militancy & Film im Verlag Spector Books.“
Michaela Ott: „Sandra Schäfer hat ein Forschungsvorhaben in dem durchaus aggressiven politischen Umfeld der Hisbollah im Libanon entwickelt. Es unterscheidet sich gleichwohl von aktivistischen Ansätzen darin, dass es zu der untersuchten politischen Institution nicht explizit Stellung nimmt, vielmehr der Frage der audiovisuellen Selbstdarstellung dieser politischen Gruppe möglichst neutral nachzugehen sucht. Aus der filmischen Haltung und montagebedingten Entscheidung, der medialen Reflexion auf das Gezeigte und Nichtgezeigte, auf Kadrierung und Distanznahme, soll sich das Politische von selbst herausprofilieren. Schäfer nimmt die Selbstdarstellung der Hisbollah im Themenpark Mleeta ebenso distanziert auf wie die Rede eines Hisbollah-Predigers vor seiner Gemeinde, den Traueraltar einer Mutter um ihren für die Hisbollah gefallenen Sohn oder die Rekonstruktion des im Bürgerkrieg zerstörten Stadtviertels Haret Hreik in Beirut. Sie registriert die Haltung der Beobachter*innen des Selbstdarstellungsvideos in einer Beobachtung zweiter Ordnung, präsentiert die verschiedenen Szenen in einer Vierkanal-Installation und untersucht damit das Gesamtbild, das sich aus dieser audiovisuellen Collage ergibt. Der zweite Teil ihrer Promotion umfasst theoretische Ausführungen zum Bild von Militanz in Rückgriff auf Ansätze verschiedener Theoretiker*innen. Daran schließen sich Analysen filmisch-militanter Arbeiten von La Hora de los hornos (1968) des argentinischen Filmemachers Fernando Solanas über die erste Videoarbeit des Black Audio Film Collective, Handsworth Songs, bis hin zu den künstlerischen Praktiken von Harun Farocki in Bilder der Welt und Inschrift des Krieges (1989) oder Hito Steyerls in Die leere Mitte (1998) und anderen an.“